Hamburg-Rissen: Kultur und Satire aus einem privilegierten Elbvorort



INTERVIEW

Der Elbvorort und die Volkspartei

Man hätte dem beschaulichen Hamburger Elbvorort Rissen eigentlich noch etwas mehr Ruhe gegönnt, sich von den schlimmsten der gegen Ende des letzten Jahrhunderts an ihm begangenen Bausünden zu erholen: Die im Volksmund als 'Grand Canyon' verharmloste Trennungsschneise der tiefergelegten Schnellstraße B431 mitten durch den Ort und die Zerstörung des dörflichen Charakters, etwa durch die 'warme Sanierung' der wenigen verbliebenen Bauernhäuser zugunsten neu entstandener Wohnblocks.
Christian Opitz im Interview über neue und alte Bausünden in Hamburg und speziell in Rissen Seit einiger Zeit liegt jedoch Beunruhigung wegen neuer Pläne der Stadtplaner in der Luft, die ihr Handeln gerne mit Zuwanderungsdruck und den Folgen des Klimawandels zu rechtfertigen versuchen.

Christian Opitz (50), ehrenamtlicher Trainer eines norddeutschen Baseballteams und von 2012 bis 2016 Vorsitzender bzw. stellvertretender Vorsitzender des SPD-Ortsverbandes Rissen-Sülldorf, erlaubt sich bei Themen wie diesen eine abweichende Meinung von der offiziellen politischen Lesart.


(22559-Hamburg-Rissen:) Herr Opitz, bevor wir über wirklich beunruhigende Entwicklungen in Hamburg und speziell in unserem Stadtteil sprechen, vielleicht vorweg etwas Positives: Die Rissener 'Dorfkutsche' - der neue Ortsbus mit der Liniennummer 388 - ist doch eigentlich eine verkehrstechnische Neuerung, die kaum Kritik auf sich ziehen dürfte. Bürger, die auch an dieser Neuinvestition nur ein weiteres Beispiel für die Verschwendung von Steuergeldern sehen, werden vermutlich an fast allen Innovationen etwas auszusetzen finden.

(Christian Opitz:) Wirtschaftlich rechnet sich der Bus sicher nicht. Aber Rissen ist groß in der Fläche und speziell bezüglich der Demografie: Es gibt sowohl im Norden als auch im Süden insbesondere zahlreiche alte Menschen, für die der Weg ins Ortszentrum zur S-Bahn oder zum Einkaufen durchaus beschwerlich ist. Die Hamburger Politik will die Menschen aus den Autos auf die Fahrräder bekommen - das ist für Ältere nicht unbedingt praktikabel und ganz gefahrlos. Daher war die Einführung der Buslinie als Unterstützung des öffentlichen Personennahverkehrs wahrscheinlich eine gute Idee und kann deshalb gerade nicht als Beleg für den sprichwörtlichen Aktionismus der Altonaer Verwaltung eingestuft werden.

Was taugt denn Ihrer Meinung nach besser als Beispiel für die zunehmende Entfremdung zwischen Politikern und Bürgern im Hamburger Westen ? Etwa die Pläne der Bezirksversammlung Altona zur Umgestaltung des im Norden des Stadtteils gelegenen und von der Politik bisher wenig behelligten 'Wildgeheges Klövensteen' ?

Rüdigerteich im Wildgehege Klövensteen Schon eher. Die Erfahrung lehrt, dass bei Projekten unter grüner Federführung leider häufig mit gutgemeinten massiven Eingriffen in die Natur zu rechnen ist. Viele Rissener hegen daher instinktiv Bedenken bezüglich der Vorschläge aus Altona zur Implementierung eines Wildtier-Zoos mit Event-Charakter in ihr bisher in gesundem Maße genutzes Erholungsareal. Auch trauen sie wohl dem vorgeblichen Rückzug der federführenden Bezirkspolitiker und dem ihnen nahestehenden 'Förderverein Klövensteen e.V.' aus dem Projekt nicht. Ich kann dieses Misstrauen nachvollziehen.

Nicht nur das Wildgehege befindet sich im Fadenkreuz von Modernisierungsplänen. In ganz Rissen ist seit einigen Jahren eine rege Bautätigkeit zu beobachten.

Die Problematik des steigenden Bedarfs an Wohnraum wird politisch leider instrumentalisiert: Wir brauchen zwar neue Wohnungen, das ist richtig. Aber wir brauchen sie meist nicht dort, wo man behauptet, dass man sie braucht. Es kann kein Recht für jedermann geben, in der City zu wohnen - oder auf Rissen bezogen: nahe des Dorfkerns. Hier geht Rissen ja mit mutigem, fast schon selbstzerstörerischem Beispiel voran und gibt sein Zentrum zwischen Haspa-Passage und Neuer Polizeiwache der baulichen Verschandelung für vermeintlich dringend benötigten neuen Wohnraum preis. So etwas wäre beispielsweise in Blankenese nahezu undenkbar. Anscheinend erfahren die Bürgerinteressen außerhalb Rissens mehr Wertschätzung.

Sehen Sie den westlichsten Hamburger Elbvorort als Menetekel für künftige Hamburger Neubauprojekte ?

Sie meinen, weil die Glaspavillons des berühmten Hamburger Architekten Werner Kallmorgen, die eines der wenigen optischen Alleinstellungsmerkmale im Ortskern Rissens bilden, Gerüchten zufolge bald von Politikern und einem Investor zugunsten 8-stöckiger Neubauten der Garaus gemacht werden soll ?

Unter anderem. Publikationen wie 'Hamburger Klönschnack' und die 'Rissener Rundschau' belasten ihre Leserschaft ja nicht über Gebühr mit solchen potentiell beunruhigenden Themen, aber im Internet können wir vielleicht etwas offener darüber schreiben.

Gläserne Pavillons des Architekten Werner Kallmorgen (1902-1979) Die Glaspavillons sollten bleiben, selbst für den Fall, dass sie 'unwirtschaftlich' wären, was ja häufig ein Totschlagargument von Bauinvestoren ist. Die außergewöhnlichen Gebäude gehören geschichtlich zu den einst als Arbeiterunterkünfte gedachten benachbarten Bruhnshäusern. Dass man diese im Zuge der letzten Sanierung unter Beachtung der gültigen Umweltauflagen so umgestaltet hat, dass sie nun wie ein ganz 'normales' modernes Hamburger Einheitsviertel aussehen, darf kein Freifahrtschein dafür sein, in näherer Zukunft die einzigartigen Pavillons 'plattzumachen'.

Hört sich an, als sei zwischen Klövensteen und Wittenbergener Heide städteplanerisch das Kind bereits in den Brunnen gefallen.

Nur weil in Rissen baugestalterisch kaum noch etwas zu retten ist, sollte man generell trotzdem nicht darauf verzichten, sich in Frage kommende Gebiete etwas genauer auf ihre Eignung für Neubebauung anzuschauen. Und diese Betrachtung sollte man eher durch die praktische als durch die ideologische Brille vornehmen:
Schnelles und billiges Bauen führt allzu oft zu nicht besonders nachhaltigen Ergebnissen, außerdem ist die Lebensqualität in vielen städtischen Neubaugebieten leider sehr dürftig. In Hamburg scheint der Ehrgeiz, auch in diesen Vierteln architektonisch Herausragendes und Lebensbejahendes zu wagen, nicht sehr ausgeprägt.

Den Anspruch, Schönes zu bauen, erhebt man ja regierenderseits gar nicht in der Hansestadt. Dem Vernehmen nach geht es doch mehr um die Bewältigung des rapiden Bevölkerungswachstums.

Und gerade diejenigen, die noch nicht so lange in der Bundesrepublik leben, verfügen oft nicht über ausreichende finanzielle Mittel. Aber auch die deutschsprachige Mittelschicht driftet mehr und mehr in den Niedriglohnsektor ab.

Es geht also um inkludierendes 'soziales Bauen', gegen das man jenseits hässlichen Populismusses ja kaum etwas einwenden kann.

aktuelle Baustelle an der Wedeler Landstrasse in Hamburg-Rissen Bevorzugten Stadtteilen Sozialwohnungen beimischen zu wollen, ist vielleicht gut gemeint, wird aber den Bedürfnissen der Allgemeinheit häufig nicht gerecht, wenn man sich traut, die ideologischen Scheuklappen abzulegen: Hamburger SPD-Funktionäre scheinen die Stadtbewohner hauptsächlich als bedürftige Hartz IV-Empfänger wahrzunehmen - das ist offenbar eine sozialdemokratische Berufskrankheit.

Die Hamburger SPD kümmert sich eben um Abgehängte, Benachteiligte und noch nicht so lange hier Lebende.

Dauerhaft Hartz IV zu beziehen ist sicher in vielen Fällen kein vergnügliches Los - dennoch sollte auch die ehemals große Arbeiterpartei realisieren, dass es durchaus noch viele arbeitende Menschen in den mittleren sozialen Milieus gibt. Ihnen müsste sie sich als Volkspartei, die sie ja nach wie vor sein möchte, ebenfalls verpflichtet fühlen. Und da ist es in meinen Augen schwer zu rechtfertigen, wenn Familien, Paare oder Singles aus der Mittelschicht zwischen Millionären auf der einen und Arbeitslosen auf der anderen Seite keine realistische Chance für sich sehen, in zentraler Lage eine Wohnung zu finden. In den meisten Citylagen leben nämlich ganz überwiegend entweder Reiche oder Arme - bezahlen tut dies so oder so die Mittelschicht, die aber selber herzlich wenig davon hat.

Das hört sich an als hätte die Politik in der Hansestadt über lange Zeit hinweg wenig zukunftsorientiert gehandelt.

Insbesondere in den zehn Jahren unter dem bisher schlechtesten Hamburger Bürgermeister Ole Von Beust tat sich im Bereich 'Wohnungsbau' jenseits vollmundiger Ankündigungen in den Wahlkämpfen so gut wie nichts, was die Wohnsituation in Hamburg und damit auch in Rissen für breite Bevölkerungsschichten hätte verbessern helfen können.

Sehen Sie die Hamburger Baupolitik der letzten Jahrzehnte tatsächlich durch und durch negativ ?

Es gibt auch positive Entwicklungen, die ich aber immer wieder neu gefährdet sehe: Nachdem sogenannte 'Problemviertel', wie Mümmelmannsberg oder Steilshoop, in den letzten Jahren mit viel politischem und bürgerlichem Engagement aus den Negativschlagzeilen herauskamen und an Lebensqualität gewannen, werden im scheinbar lernresistenten Senat Pläne laut, diese Gebiete nachzuverdichten. Selbst in Altonas Zentrum findet wider besseren Wissens zur Zeit eine bauliche Konzentration statt - bis dort irgendwann ein Moloch entsteht.

Von einem Aufschrei der Betroffenen ist aber bisher wenig zu hören.

Aber einen Aufschrei wenigstens der Experten sollte es eigentlich geben. Und sei es nur der einiger Außenseiter. Aber die sehen vermutlich die Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens: Wir leben in einer Phase, in der der gesellschaftliche und politische Konsensdruck eine nie dagewesene Intensität erreicht hat. Entscheidend ist heute nicht mehr der rechts/links-Gegensatz, sondern die Frage, ob man sich inner- oder außerhalb des Mainstreams bewegt. Für die Outsider gibt es kaum mediale Unterstützung, weder öffentlich-rechtlich noch privatwirtschaftlich.

Manche meinen, bei der Klima- und bei der Flüchtlingspolitik sei diese Zurückhaltung der 'Vierten Gewalt im Staat' ebenfalls zu beobachten ...

bald keine Einfamilienhäuser mehr in Hamburg-Rissen ? Aber dennoch muss man über die Baupolitik des Senats laut reden, sie darf nicht in kleinen elitären Zirkeln ausgekungelt werden. Da kommen dann nämlich so lebensferne Pläne heraus, wie dass langfristig in Hamburg keine Einfamilienhäuser mehr gebaut werden dürfen. Über die Auswirkungen, die Vorhaben wie diese für das Familienleben und damit elementare Bindungen breiter Bevölkerungsschichten haben werden, können sich langfristig wohl nur Psychotherapeuten und Psychiater freuen.

Keine Einzelhäuser mehr in einer klassischen Einzelhausgegend, wie Rissen ? Das ist doch eigentlich schwer vorstellbar.

Die rot-grünen Expertinnen verfügen hier offenbar über mehr Fantasie als Sie, mit Verlaub. Dass beispielsweise die Pläne noch nicht verworfen wurden, den Rissen entzweienden 'Grand Canyon', die B431, noch weiter Richtung Wedel zu verlängern, würde auch niemand mit gesundem Hausverstand glauben wollen. Dennoch hängt dieses Damoklesschwert noch über vielen verunsicherten Rissenern.
In dieses Bild passt auch, dass der Bezirk Altona allen Ernstes plant, vielbefahrene Schnellstraßen mit bis zu 20.000 neu zu bauenden Wohnungen einzuhegen. Einerseits den Bau von Einfamilienhäusern verbieten und andererseits Schnellstraßen mit reihenweise 'Kaninchenställen' fast unmittelbar am Fahrbahnrand säumen zu wollen, lässt in mir ernsthafte Zweifel am Menschenbild der Regierenden aufkommen. Ich denke, das geht mir nicht alleine so.

Noch einmal zur Hamburg lange Zeit politisch prägenden SPD, die sich bundesweit in keinem guten Zustand befindet ...

Die Errungenschaften der deutschen Sozialdemokratie sind geschichtlich ein enormes Pfund. Umso trauriger ist die Entwicklung der Partei Wilhelm Liebknechts, Friedrich Eberts und Helmut Schmidts hin zu den heutigen Vertretern á la Sigmar Gabriel, Andrea Nahles oder gar dem neuen 'Duo' Esken/Borjans.

Woran liegt dies Ihrer Meinung nach ?

Die heutigen Sozialdemokraten unterliegen der irrigen Annahme, das Soziale bestimme tatsächlich alles. Die alleinige Fixierung auf die Komponente 'soziale Gerechtigkeit' lässt führende Genossen diejenigen aus den Augen verlieren, die diese Gerechtigkeit finanzieren und erarbeiten. Mehrheitlich sind die Menschen - zumal die Hamburger und erst recht die Rissener - durchaus bereit dazu, andere zu unterstützen. Aber sie wollen sich und ihre Hoffnungen, Sorgen und Nöte ebenfalls von vermeintlich linker Politik vertreten sehen. Gerade da hakt es in letzter Zeit ganz gewaltig: Sowohl im Berliner Willy-Brandt-Haus als auch im Hamburger Kurt-Schumacher-Haus ist jeweils die Sicht auf die Normalbürger stark eingetrübt und geeignete Fensterputzer werden regelmäßig abgewiesen.

Es bleibt immerhin festzuhalten, dass der spürbare Wohlstand Hamburgs und die jahrzehntelange sozialdemokratisch dominierte Senatspolitik doch in einem gewissen Zusammenhang miteinander stehen müssen. Würden sie der Behauptung zustimmen, dass wenn die SPD in den letzten 70 Jahren eine insgesamt erfolgreiche Stadtgeschichte geschrieben hat, dies folgerichtig auch für Rissen gilt ?

Christian Opitz im Interview über neue und alte Bausünden in Hamburg und speziell in RissenIch kann nicht behaupten, dass die Hamburger CDU jemals etwas Erfolgreiches für die Stadt oder für Rissen vollbracht hätte. Insofern trifft Ihre Aussage wohl zu. Die zuletzt unter Olaf Scholz recht bürgerlich ausgerichteten Hamburger Sozialdemokraten haben tatsächlich viele ihrer Projekte auch umgesetzt. Für das G-20-Desaster konnte man die damals Regierenden in meinen Augen nur bedingt verantwortlich machen, da selbst die linksradikale Szene der Stadt von der Heftigkeit der in ihrem Namen begangenen Straftaten während der Ausschreitungen überrascht war. Aber zumindest hierunter hatte Rissen dank seiner Randlage ja nicht zu leiden.

Das macht Hoffnung für die Zukunft. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Opitz.





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