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Die Niveau-Drücker

Vom volkswirtschaftlichen Schaden durch Flachfunk



Die Menschen in der Bundesrepublik realisieren immer stärker, dass in ihrem Land ein Umdenken in vielen Bereichen notwendig geworden ist. Hierin werden sie nicht zuletzt durch die elektronischen Massenmedien bestärkt. Dabei blenden deren Verantwortliche aus, dass Fernsehen und Radio ebenfalls das Ihre zur allgemeinen Krisenstimmung beitragen: Durch die anhaltende Verflachung der Sendeformate privater als auch öffentlich-rechtlicher Programmanbieter wird besonders bei jungen Mediennutzern die Haltung verstärkt, dass Können und Wissen nicht honoriert werden – ungeachtet dessen, dass gerade diese Eigenschaften für die Gesellschaft in Umbruchzeiten lebenswichtige Ressourcen darstellen.

Mehr oder weniger konsequent werden gegenwärtig alte Besitzstände in Frage gestellt, werden Wirtschafts- und Sozialsystem zukunftsfähig zu machen versucht. Die vom Ausland diagnostizierte `deutsche Krankheit´ - das Unvermögen, sich veränderten Lebensbedingungen anzupassen - soll überwunden werden, denn:

-    Die Wirtschaft der Bundesrepublik musste liebgewonnene Spitzenpositionen aufgeben und spielt seither international im Mittelfeld. Weiterer Abstieg nicht ausgeschlossen.

-    Dem Bildungswesen wurde wiederholt der Pisa-Spiegel vorgehalten. Was der besorgt hineinblickenden bundesdeutschen Öffentlichkeit entgegen-schaute, war kein schöner Anblick. Da sah es an anderen Orten der westlichen Welt weit besser aus.

-    Am Sozialsystem doktern wegen der sich abzeichnenden ungünstigen Bevölkerungsentwicklung zahlreiche selbsternannte Notärzte herum. Mit besorgter Miene, denn die rettende Therapie für den Patienten ist nirgendwo in Sicht.

Fast wie ein Fels in der Brandung gelingt es jedoch den populären elektronischen Massenmedien -Fernsehen und Hörfunk- sich selbst Reformdiskussionen vom Leibe zu halten. Stattdessen thematisieren sie unermüdlich die Probleme von Wirtschaft, Bildungswesen und Sozialsystem.

Die Welt öffentlicher Bilder und Klänge scheint vergleichsweise heil: Durchschnittlich 3 Stunden täglich sehen die Bundesdeutschen fern. Das Fernsehen behauptet sich nach wie vor als beliebtestes und wichtigstes elektronisches Massenmedium in der Bundesrepublik. Marktanteile, die es an das Internet verliert, holt es sich scheinbar von den Tageszeitungen zurück. Und auch das gute alte Radio dudelt wie eh und je munter vor sich hin.

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Seit es Rundfunk gibt, wird auch Kritik an dem Medium geäußert. Die Standpunkte der Gelehrten und Politiker scheinen inzwischen hinreichend bekannt: Übertriebene Gewaltdarstellungen senken die Hemmschwelle psychisch labiler Menschen; Das Reden über Sex zu unpassenden Sendezeiten behindert Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung; Sendungen, deren Machart auf dem Prinzip des Voyeurismus beruht, führen zur Verrohung der Menschen im alltäglichen Miteinander.

In der öffentlichen Meinung haben Medienkritiker einen schweren Stand. Ihnen haftet von jeher der Ruch von Spielverderbern an, die sich lehrerhaft anmaßen, Fernsehzuschauern und Radiohörern vorschreiben zu wollen, welche Art von Unterhaltung gut für sie sei. In der Erlebnisgesellschaft gilt es als besonders verwerflich, anderen in ihrem Wunsch nach anspruchsloser Unterhaltung das Recht auf autonome Mediennutzung einschränken zu wollen - selbst wenn dies mit dem Hinweis auf die Schutzbedürftigkeit Dritter verbunden wird.

Als Hort der Bevormundung werden offizielle Stellen ausgemacht: Rundfunkräte und medienpolitische Sprecher diverser Parteien, aber auch Universitätsprofessoren, die ihnen die benötigten Argumente liefern. Einmischung in das Mediengeschehen wird in Deutschland nicht gerne gesehen - insbesondere die kommerziellen Fernsehanbieter haben sich diese Tatsache längst zunutze gemacht und für ihre Programme auf der nach unten offenen Niveauskala Tatsachen geschaffen, die kaum mehr rückgängig zu machen sind.

Politisch Verantwortliche und Wissenschaftler bagatellisieren diese Entwicklung häufig als unerfreulich aber letztlich harmlos und zudem unvermeidbar. Es wird jedoch unterschätzt, dass Medieninhalte auch zu Zeiten hunderter Fernseh- und Hörfunkkanäle mehr Einfluss auf die Menschen haben als viele Entscheidungsträger es wahrnehmen oder zugeben wollen.
Das Problem liegt nicht in der Wirkung dieser oder jener Sendeformate auf Zuschauer und Zuhörer. Die brennende Frage lautet viel mehr:
WELCHE SIGNALE SENDEN INSTITUTIONEN, DIE BEDENKLICHE MEDIENINHALTE LEGITIMIEREN, AN DIE RUNDFUNKNUTZER AUS ?

In der Bundesrepublik ist das Wissen darüber, dass Deutschland in nahezu jedem Bereich ein hochregulierter Staat ist, quer durch alle Bevölkerungsschichten weit verbreitet. Dies gilt für Wirtschaft, Soziales und Kultur ebenso wie für die elektronischen Massenmedien. Auch in bildungsferneren Kreisen `weiß´, beziehungsweise `ahnt´ man bereits ab dem Jugendalter, dass TV und Radio von offiziellen Stellen beaufsichtigt werden.

Kenntnisse darüber, wie ein Rundfunkrat oder eine Landesmedienanstalt zusammengesetzt sind oder welche Ziele diese im Einzelnen verfolgen, sind hierbei nicht erforderlich - das vage Wissen um die Existenz öffentlicher Institutionen, die sich um die Medien `kümmern´ genügt, um die individuelle Bewertung medialer Inhalte unbewusst zu beeinflussen: Man sieht und hört Dinge mit dem Bewusstsein, dass Staat und Politik hinter dem Gesehenen und Gehörten `stehen´, da all dies irgendwo genehmigt wurde.

Der Schritt dahin, dass Rundfunknutzer vermuten, Haltungen und Normen, die durch beaufsichtigte Massenmedien verbreitet werden, würden von Politik und Gesellschaft geduldet oder gar gewollt, ist kein großer. Dies gilt für öffentlich-rechtliche Programme ebenso wie für private Anbieter.  

Unterschiedlichste Funktionsträger erklären die Frage, ob eine Wissensgesellschaft sich volkswirtschaftlich ein Mediensystem leisten kann, welches in Form und Inhalt immer destruktivere Züge annimmt, regelmäßig für irrelevant. Der Zusammenhang zwischen der Qualität der massenmedialen Realität eines Landes und seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit wird jedoch zu unrecht geleugnet.

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Die Zeiten des `Bildungsfernsehens´ sind zwar bereits lange vorbei. TV und Radio sind inzwischen weitgehend demokratisierte Medien, die in ihrer Viel- und immer häufiger auch Einfalt weitgehend den Bedürfnissen der Mehrheit der Gesellschaft entsprechen. Diese Entwicklung hat ihre positiven Seiten. Mit ihr einhergehende Phänomene wie etwa die Infantilisierung und die Vulgarisierung von Programminhalten tragen jedoch auch zur Verwirrung der Mediennutzer bei. Anomische Zustände entstehen, da viele den Widerspruch zwischen den Anforderungen einer komplexen Schul- oder Arbeitswelt gegenüber einer streckenweise nihilistisch anmutenden Medienwirklichkeit nur schwer miteinander vereinbaren können:

-    Einerseits verknüpfen Menschen mit den elektronischen Massenmedien nach wie vor ein bestimmtes Bild: Ebenso, wie dem Automechaniker zugeschrieben wird, dass er handwerklich geschickt zu sein hat, und der Grundschullehrerin, dass sie mit kleinen Kindern umzugehen vermag, wird als Voraussetzung für eine sicht- oder hörbare Präsenz in TV und Radio ein gewisses sprachliches als auch intellektuelles Niveau angenommen oder wo dieses nicht vorhanden ist, zumindest erkennbares Bemühen darum.

-    Andererseits werden in den Sendungen des Privat- und zunehmend auch des öffentlichen Rundfunks Bildungslosigkeit und Egoismus glorifiziert, Wissen und prosoziales Verhalten ins Lächerliche gezogen: Wer als Beteiligter bei den Gerichtsshows der Privatsender nicht laut genug Krawall schlagen kann, wird sein Anliegen nicht durchbringen; wer sich als Moderatorin für ein Privat- oder Jugendradio bewirbt, darf über  keine wohlklingende Stimme oder die hörbare Fähigkeit, vollständige Sätze formulieren zu können, verfügen – sonst gilt Sprecherin als dem breiten Publikum nicht zumutbar.

Bildungsferne Mediennutzer werden in ihrer Selbstgenügsamkeit nicht gestört oder zur Aneignung weiterführender Fähigkeiten animiert.

Welches Signal wird Zuschauern und Zuhörern durch diese Infragestellung von Werten im privaten und immer öfter auch öffentlich-rechtlichen Rundfunk vermittelt ?
Inkompetenz ist nicht schlimm, eigentlich sogar unterhaltsam und kann gerne massenhaft propagiert werden ? Ist es überhaupt erstrebenswert, korrekte Sätze formulieren zu können und sich Wissen anzueignen, wenn diese Fähigkeiten selbst von den Medien, die dieser eigentlich per se bedürfen, eher geringgeschätzt werden ?

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Öffentliche Institutionen tragen zur Verbreitung desorientierender Zerrbilder der Gesellschaft bei, indem sie entsprechende Programme absegnen und zulassen, dass deren Protagonisten auch in Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hofiert werden. Spätestens seit Formaten wie `Big Brother´, den Gerichtsshows der Privaten aber auch den Boulevardsendungen in ARD und ZDF dürfen bildungsferne Mediennutzer sich in ihrer Skepsis vor dem Erwerb von Wissen sowie in ihren rückwärtsgewandten Kommunikationsformen vom öffentlich beaufsichtigten Fernsehen bestätigt sehen.

Aus soziologischer Sicht führt diese bedenkliche öffentlich-massenmediale Allianz zu einer Verfestigung des Unterschicht-Lebensstils in der Bevölkerung. Die soziale Mobilität benachteiligter Gruppen wird ungünstig beeinflusst. Und dies ungeachtet von Parteiprogrammen unterschiedlichster Couleur, die genau gegenteilige Ziele für sich proklamieren.

Im Hinblick auf Rundfunkinhalte und -formen herrscht weitgehend Laisser-faire. Von den Verantwortlichen wird dies mit dem Vertrauen in die Medienkompetenz der Zuschauer und Hörer begründet. Einrichtungen wie die Landesmedienanstalten haben de facto nur eine Alibifunktion inne.
Wenn in Deutschland das Rundfunksystem öffentlichen Aufsichtsgremien unterworfen ist, wofür es gute Gründe gibt, so müssen diese unbedingt auch handlungsfähig sein, da sie ansonsten kontraproduktive Signale aussenden. In jüngster Zeit gehen Vertreter dieser Gremien aus Resignation über ihre Einflusslosigkeit dazu über, die immer bedenklicheren Sendeinhalte entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnis schönzureden - so wird aus Stagnation schädliches Verhalten.

Die elektronischen Massenmedien sind zwar keine Schlüsselindustrie in der Bundesrepublik, aber für die überwiegende Mehrheit der Menschen sind sie nun einmal ständig präsent.

Ein kleiner Teil der Gesamtwirtschaft profitiert von der anhaltenden Verflachung in Fernsehen und Radio: Die großen Medienkonzerne können günstig anspruchslose Sendungen produzieren; zudem sieht die Werbeindustrie in    uninformierten und unkritischen Menschen die attraktivere Werbezielgruppe, geben Angehörige unterer Bildungs- und Einkommensschichten doch nachgewiesenermaßen einen wesentlich höheren Anteil ihrer verfügbaren Mittel für Konsum aus als Bessergestellte.
Diesem überschaubaren wirtschaftlichen Nutzen der Verflachung des Mediensystems steht jedoch die ungünstige gesamtökonomische Entwicklung der Bundesrepublik gegenüber.

Gerade Deutschland ist aufgrund seiner Rohstoffknappheit, der ungünstigen demographischen Entwicklung und zunehmender globaler Konkurrenz auf eine bildungswillige Bevölkerung angewiesen. Die Schlüsselwirtschaftsbereiche der Wissensgesellschaft klagen bereits seit längerem über Nachwuchs, dem es an Allgemeinbildung sowie kommunikativer Kompetenz mangelt. Vor diesem Hintergrund kann es sich eine vorausschauende Politik wegen der hiervon ausgehenden Signalwirkung nicht leisten, weiterhin öffentlich abgesegnete Verblödungsprogramme auf Jugendliche loszulassen.

Einige Medienforscher verweisen auf andere Länder, etwa im angelsächsischen Raum, in denen die Konsumenten mit weitaus gröberen massenmedialen Inhalten konfrontiert werden, ohne dass die jeweiligen politischen Akteure im Verdacht stünden, ihren Volkswirtschaften den qualifizierten Nachwuchs entziehen zu wollen. Dieser Vergleich ist wegen der Besonderheit der ausgeprägten Involviertheit des Staates in das deutsche Rundfunksystem jedoch unzulässig: In den USA und Australien beispielsweise, von wo aus viele Fernsehimporte nach Deutschland stattfinden, übt die Politik inhaltlich weit weniger Einfluss auf die zumeist kommerziellen Programmanbieter von TV und Radio aus. Somit ist in diesen Ländern das Bewusstsein, die jeweiligen staatlichen Entscheidungsträger sympathisierten mit den populären Programmen, in der Bevölkerung weit weniger ausgeprägt.

Als Konsequenz aus der beunruhigenden Entwicklung von Fernsehen und Hörfunk in Deutschland ergeben sich zwei Handlungsalternativen:
Entweder die Politik schafft die Landesmedienanstalten und Rundfunkräte ab und unterbindet so das verhängnisvolle Signal, Staat und Politik stünden, da sie erkennbar nichts gegen diese unternehmen, hinter den verzerrenden und desorientierenden Medieninhalten - oder man verschafft diesen Gremien den Einfluss, die im Rundfunkstaatsvertrag klar formulierten Programmgrundsätze nachhaltig zu vertreten.

Eine Strategie, den eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen, könnte beispielsweise ein deutscher `Medienpatriotismus´ sein, der von Funktionsträgern und Meinungsmachern zu unterstützen wäre:
So wie viele Bundesbürger stolz darauf sind, nach dem zweiten Weltkrieg zumindest im Westteil des Landes eine über Jahrzehnte erfolgreiche Wirtschaft sowie ein verhältnismäßig stabiles demokratisches  System entwickelt zu haben, könnte ebenso auf die recht positiven Traditionen im bundesdeutschen Mediensystem, das über lange Zeit öffentlich-rechtlich geprägt war, hingewiesen werden.

Gerade vor dem Hintergrund eines sich globalisierenden Medienmarkts, der auch hiesige Verantwortliche unter Druck setzt, ist es eben keine Selbstverständlichkeit, dass eine überwiegende Mehrheit des bundesdeutschen Rundfunkpublikums noch mit Formaten und Inhalten sozialisiert wurde, bei denen nicht in erster Linie der Profit einiger Medienkonzerne im Vordergrund stand und die Programme infolge dessen weniger sinnentleert waren, da sie mit funktionalen gesellschaftlichen Werten harmonierten.

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Diese gewachsene und immer noch bei vielen vorhandene Erwartungshaltung an ausgewogene Medieninhalte wieder verstärkt zu bedienen, dürfte zumindest für öffentlich-rechtliche Anbieter kein Ding der Unmöglichkeit sein und das hierzulande angespannte gesellschaftliche Klima verbessern helfen.

Einige Vertreter der Landesmedienanstalten würden ihre eigenen Überzeugungen vielleicht bereits in naher Zukunft nicht mehr verleugnen müssen.




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