Auf zur Venus
Interview mit Michael Gaida
Wer in den Achtziger Jahren unkonventionelle
und respektlose Hörspiele hören wollte, der kam auf Dauer nicht
an den Stücken von M. Gaida vorbei. Nach großen Erfolgen
und diversen Hörspielpreisen wurde es
seit Mitte der 90er Jahre recht ruhig um den in Berlin lebenden Autor.
Mittlerweile erleben seine Stücke eine kleine Renaissance: Im Internet
stehen seine Klassiker wie `Auf zur Venus´ ganz oben auf den Wunschlisten
mp3-tauschwilliger Hörspielfreunde und auch Open-Air-Aufführungen
von z.B. `Apocalypso oder äußerst besorgt - zutiefst befriedigt´
können sich über mangelndes Interesse nicht beklagen.
Warum werden so wenige Ihrer Stücke im Hörfunk wiederholt
? Neben der Tatsache, dass Ihre Hörspiele seinerzeit viele Fans hatten,
wurden sie darüber hinaus recht aufwendig und hochkarätig besetzt
realisiert. Das würde doch eigentlich die eine oder andere Wiederholung
rechtfertigen ?
Ich werde in den Hörspielabteilungen offenbar taxiert als
der typische Repräsentant der 80er Jahre. Deswegen bekam ich schon
öfter zu hören, meine Stücke seien nicht mehr zeitgemäß.
Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, denn meine Texte waren damals stilistisch
vergleichsweise singulär. Ich wüsste nicht, wer außer mir
noch so gearbeitet hätte. Natürlich gibt es im weitesten Sinne
Ähnlichkeiten, Näherungen zu einigen wenigen anderen Autoren. Aber
in letzter Konsequenz gebrauchte ich für meine Schreibweise früher
eine sehr fragmentarische und von den Anschlüssen her sehr offene Form.
Ein Stil, den man von einigen Vertretern des ehemals `Neuen Hörspiels´
und heute der ` Ars Acustica´ bzw. der `Radio-Art ´ kennt.
Trotz der offenen Form meiner Stücke sind deren Inhalte aber so gut
wie ausschließlich auf meinem Mist gewachsen. Ich habe nur ganz selten
ab und zu ein Zitat verwendet. Selbst das empfand ich schon als nicht ganz
seriös. Ich habe aber damals nicht das getan, was heutzutage in zunehmenden
Maße die sogenannte `Radio-Art´ tut, die fremde
Texte fleddert, irgendwelche Sounds dazupackt und vielleicht noch 30 eigene
Sätze dazukleckert. Wenn dabei wenigstens die Komposition stimmen würde
! Diese Vorgehensweise verachte ich wirklich. Es gibt hier wenige positive
Ausnahmen, z.B. Heiner Goebbels. Aber ansonsten ist unheimlich viel Schrott
dabei. Das ist leichtsinnig, es ist schamlos - Eben Fledderei: Von Platon
bis Rosa von Praunheim. Grotesk !
Es läuft aber unheimlich gut als eigene Kunstform, die vor allem den
Vorteil hat, daß man sich damit nicht weiter auseinanderzusetzen braucht,
weil es den Duktus des Hermetischen und für sich Autonomie reklamieren
Könnenden hat. Den Vorteil kann ich natürlich nachvollziehen:
In diesen Kreisen kann man sich gegenseitig auf die Schultern klopfen.
Ein geschlossenes System. Und M. Gaida beteiligt sich nicht
an diesem gegenseitigen Schulterklopfen ? Er will nicht, er darf nicht ?
Ontologisch sitze ich sozusagen zwischen den Stühlen: Auf
der einen Seite die Radio-Art, auf der anderen die eher klassischen Hörspiele,
die im wesentlichen Bearbeitungen sind. Dazwischen gibt es wirklich kaum
etwas.
Für mich bestand in den letzten Jahren das Malheur darin, dass ich
meine Stücke teilweise den Radio-Art-Leuten anbieten musste, weil ich
nicht wusste, wer sonst für mich zuständig sein könnte. Die
haben dann aber wiederum gemeint, meine Stücke wären ihnen zu konsistent
bzw. zu `textlastig´ (!). Von klassischer Hörspielseite hieß
es hingegen, meine Texte seien zu verwegen bzw. zu frei. Ich wurde also
hin- und hergetrieben zwischen diesen beiden Polen. Zusätzlich wurden
an meine Arbeiten Maßstäbe angelegt, die abenteuerlich waren,
weil wohl auch eine enorme Erwartungshaltung mir gegenüber existierte.
Das hält ein Künstler auf die Dauer nicht aus.
Dass Autoren alleine wegen des Formalen vom Hörspielgeschehen ausgeschlossen
werden, dürfte in einem ausdifferenzierten Hörfunksystem ja eigentlich
nicht vorkommen ...
Ich hatte gedacht: `Da muss doch ein Plätzchen für mich
vorhanden sein, eine Nische´. Aber es war wirklich wie verhext ! Früher
habe ich mich darüber aufgeregt. Jetzt bin ich ruhiger geworden.
Wie wurden Ihre neueren Texte denn inhaltlich aufgenommen ?
Ich registriere in den Massenmedien leider einen enormen Konservatismus,
der sich meiner Meinung nach vor allem in der Unaufgeschlossenheit bezüglich
gewisser wichtiger Themen manifestiert. Es gibt z.B. eine positivistische,
eine oft an Dummheit grenzende Wissenschaftsgläubigkeit, die schlimm
ist. Hierbei steht ideologisch ausschließlich die angewandte moderne
Technik im Vordergrund; Die theoretisierende und Fragen aufwerfende Wissenschaft
hingegen wird nahezu völlig ausgeklammert.
Und mit diesen Werthaltungen kollidieren Ihre neuen Stücke
?
Momentan beschäftige ich mich mit historischen Chronologie-
Revisionen, dem `erfundenen´ Mittelalter, Katastrophentheorie und
vor allem der Ufo-`Thematik. Gerade, wenn man es im historischen Rückblick
betrachtet, sind Ufo-Phänomene hochinteressant. In der Geschichte wimmelt
es ja nur so von Hinweisen auf außerirdische Besuche auf der Erde
! Und gerade beim Ufo-Thema kommt bezeichnenderweise leider wieder dieser
positivistische Ansatz in den Massenmedien zum tragen, welcher sich oft
durch Häme gegenüber allem, was von der Norm abweicht, auszeichnet.
Wäre denn Ihrer Meinung nach ein Publikum für Ihre
Themen vorhanden ?
Ich denke, schon. Ich komme nur leider an den Gatekeepern der öffentlich-rechtlichen
Hörfunkstationen nicht vorbei, die diese Inhalte nicht haben wollen.
Auf der einen Seite sind sie zwar auch experimentierfreudig; Aber eben nur
dort, wo es unverbindlich ist, also vor allem bei der `Radio-Art´.
Ansonsten gibt es eine ideologische Barriere, die ich mit meiner Arbeit
leider nicht überwinden kann. Auch einige bitterböse Briefe haben
hier nicht helfen können. Da geht nichts. Das musste ich einsehen.
In Ihren vertonten Hörspielen wird die Ufo-Thematik meiner
Erinnerung nach nirgends explizit behandelt. Obwohl Ihre Stücke formal
ja immer irgendwie in die Science-Fiction-Richtung tendierten. Titel wie `
Auf zur Venus´ (1982) oder ` Apocalypso´ (1983) legen hierfür
Zeugnis ab.
Doch, diese Dinge kamen in meinen Hörspielen vor. Ich bin
zwar nie ganz deutlich geworden, aber sie müssten eigentlich in Form
von Parallelen zu spüren gewesen sein.
Und in meinen neueren Texten, die natürlich nicht veröffentlicht
wurden, behaupte ich -Stichwort `Technikhörigkeit´-, dass
der Mensch aufgrund unleugbarer metaphysischer Bedürfnisse dazu bereit
sein wird, sich der Maschine zu unterwerfen. Als Maschinensymbiont, Cyborg
... etc. Das wird teilweise heute schon enthusiastisch medial zelebriert.
Insbesondere Ihre Science-Fiction-lastigen Stücke
erfreuen sich mit dem Aufkommen moderner Verfahren zur Datenkomprimierung in
Internet-Tauschzirkeln von Hörspielfreunden seit einiger Zeit großer
Beliebtheit. Freut Sie das ?
Natürlich. Dass bei diesen Internetgeschichten der Urheberschutz
der Autoren aber auch anderer an der Produktion von Hörspielen beteiligter
Personen weitgehend auf der Strecke bleibt, ist mir persönlich ziemlich
egal. Ich bin kein Vertreter des rigiden Copyright. Diese Einstellung ist
zwar manchmal defaitistisch und selbstzerstörerisch - Aber grundsätzlich
sind wir doch alle nur Medien, die Einfälle und Intuitionen haben.
Das sind immer nur Dinge, die in uns eintreten, durch uns hindurch finden
usw. Eine sozusagen egalitäre Veranstaltung, weswegen meiner Meinung
nach bezüglich kultureller Inhalte niemand wirklich sagen kann `Dies
oder jenes ist meins.´ Es läuft zwar in der Praxis tatsächlich
trotzdem so ab, insbesondere vorangetrieben durch Amerika und den Kapitalismus,
aber letztendlich ist das in meinen Augen ein Witz: Wir alle haben Teil
an einem großen Zirkus, wobei wir aber lediglich Empfänger sind.
Diese Metapher mit den Radioempfängern habe ich ja z.B. auch in `Auf
zur Venus´ thematisiert.
Durch die mp3-Tauschzirkel wird ziemlich deutlich, dass Sie
auch heute noch Fans haben.
Wenn es überhand nimmt mit dem Personenkult, wird er mir
aber auch schnell unheimlich ! Obwohl es dabei natürlich auch immer
wieder mal zu witzigen Geschichten kommt: Man hat mir z.B. mal von einem
Psychiatrie-Insassen erzählt, der als Abschiedsgeschenk anlässlich
seiner Entlassung allen Mitarbeitern der Anstalt eine Kassettenkopie von
meinem Stück ` In der Assoziatrie´ (1982) gezogen hat,
weil er sich darin wohl ein Stück weit wieder erkannt hat. So etwas
bauchpinselt natürlich.
Ihre Hörspiele bewegen sich oft ebenfalls in mentalen Grenzbereichen.
Ist das vielleicht auch biographisch bedingt, lässt das Rückschlüsse
auf den Autor M. Gaida zu ?
Mit Sicherheit. Ich gebe gerne zu, dass die vielfältigen
Erfahrungen, die ich in den 60er Jahren mit den unterschiedlichsten Drogen
gemacht habe, meine Stücke nachhaltig beeinflusst haben dürften.
Im positiven Sinne, wie ich meine.
Das im Zusammenhang mit Bewusstseinserweiterung wichtige Phänomen
der Wiederholung half mir z.B., in meinen Hörspielen einen Akzent auf
semantische Indifferenzen zu legen, die in Verbindung mit relativ starken
musikalischen Elementen wiederum die positiv/negativ-Ambivalenzen bei Figuren
unterstreichen können. Dies macht die Personen für Hörer
natürlich interessanter. Das Hörspiel ist diesbezüglich glücklicherweise
ein Medium mit einer großen Offenheit, das assoziative Verknüpfungen
z.B. zwischen Text und Musik fördert und sich gut gegen überbordende
Konventionen schützen kann. Kurzum: Nach einem guten Hörspiel darf der Hörer am Ende nicht
mehr wissen, ob er danach ein Würstchen essen oder das Flugzeug nehmen
soll.
Abschließend noch die unvermeidliche Frage nach dem Einfluss
der Gesellschaft auf das moderne Hörspiel ...
Wir erleben momentan meiner Ansicht nach kulturell eine restaurative
Phase. Die Menschen sind verunsichert über unklare Frontlinien, die
quer durch die Gesellschaft verlaufen. Dies fördert nicht zuletzt das
Bedürfnis der Hörer nach konventionellen Hörspielen, am liebsten
mit Happy End. In der Sprache beobachte ich hierbei eine Dichotomisierung
in schwarz und weiß. Diese Schablonisierung geht natürlich auf
Kosten von Zwischentönen.
Die Grenzen des experimentellen Bereichs, der auf die Vertreter der `Radio-Art´
beschränkt bleibt, sind heute klar abgesteckt. Das Hörspiel ist
daher reduziert auf konventionelle Stücke einerseits und `Radio-Art´-Beiträge
andererseits. Mischformen scheinen die Hörspielverantwortlichen ihren
Hörern nicht zumuten zu wollen.
Herr Gaida, ich danke Ihnen für dieses 'fiktive' Gespräch.
(Berlin, 2002)
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SF-Comical
Auf zur Venus
Das Hörspiel AUF ZUR VENUS des in Hamburg geborenen Autors stammt aus dem Jahre 1982 und wurde vom SFB (Sender Freies Berlin) produziert. Die Regie führte Manfred Marchfelder: Ein Staat will sich einiger seiner pathologisch verhaltensauffälligen Bürger entledigen. Es bleibt offen, ob es sich dabei um einen besonders fürsorglichen oder im Gegenteil um einen besonders zynischen Staat handelt.
Jedenfalls wird ein psychologisch geschulter Mitarbeiter der Weltraumbehörde beauftragt, mit diesen schwierigen Personen Kontakt aufzunehmen und ihnen das Angebot zu unterbreiten, einen Freiflug zum Planeten Venus anzutreten. Da es sich bei den fünf Ausgewählten um Persönlichkeiten handelt, die große Probleme mit der Gesellschaft haben, nimmt jeder von ihnen mehr oder weniger spontan oder überzeugt die Offerte an: Da wäre zunächst Edwina, eine Nymphomanin vermutlich mittleren Alters, die eine seltsame Fixierung auf das männliche Geschlechtsorgan hat, welches sie in ihrer Fantasie massenhaft in Einmachgläsern sammelt, nachdem sie ihre Männerbekanntschaften entmannt hat. Auch wenn es sich bei ihrer seltsamen Kollektion gesammelter
Fortpflanzungswerkzeuge lediglich um Attrappen aus Papier handelt, ist dies natürlich skuril genug, um an der unorthodoxen Weltraummission teilzunehmen. Auch die anderen Reiseteilnehmer Espenlaub, Sonja, Will, Schmidt und Goofy stehen ihr an Verrücktheit in nichts nach und so wird die Reise ohne Wiederkehr zu einem schrill-psychedelischen Weltraum-Trip, auf dem beispielsweise Will zeitweilig zu einem Radioempfänger für außerirdische Programme mutiert, was der Autor des Stückes wiederum als Metapher auf die Beliebig- und Wiederholbarkeit medialer Inhalte verstanden wissen möchte.
Gaidas zahlreiche Monologe der Protagonisten in AUF ZUR VENUS sind vielleicht nicht zuletzt wegen der meist sehr passenden musikalischen und/oder atmosphärischen Unterlegungen kurzweilig anzuhören und auch die Dialoge unter den verrückten Raumfahrern machen die Reise, die so oder so ähnlich auch im Orient-Express oder auf der 'Route 66' stattfinden könnte, zu einem spannenden, nachdenkenswerten und über einen Gutteil der Strecke nicht ganz jugendfreien Hörspieltrip.
Mit Monika Hansen, Uwe Müller, Helga Anders, Ronald G. Nitschke, Peter Matic, Erwin Schastok, Peter Fitz u.a.
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Notruf
Mayday
In 'Mayday' aus 1985 unter der Regie des Autors fühlt sich ein gehandicappter Mann von einem Eindringling in seine Wohnung bedroht und versucht, diesen mit Zeugnissen seiner Phantasie hin- und von Gewalt abzuhalten.
Das Stück ist inhaltlich alles andere als banal, aber leider auch nicht sonderlich originell oder interessant. Es wird deutlich zuviel monologisiert. Die unleugbare Stärke Michael Gaidas, nahezu sein Alleinstellungsmerkmal zu jener Zeit, grotesk-skurrile Szenen mit mehreren Darstellern packend in Szene zu setzen, kam bei dieser Produktion, sehr zum Bedauern eingefleischter Bewunderer des Autors, nicht ansatzweise zum Tragen - frei nach dem abgewandelten Gaida-Motto für dieses Hörspiel: "Meine erzählerischen Glanzleistungen von gestern hab ich vergessen, und heute habe ich meine Fans im Regen stehen lassen."
Auch die hochbeleumndete Sprecherriege vermag 'Mayday' nicht aus einer gewissen Lethargie herauszureissen: Der behinderte Mann, die Hauptfigur, wird von dem hervorragenden Fernseh- und Filmschauspieler Kurt Raab (unvergessen und einfach perfekt in Rainer Werner Fassbinders Filmgroteske 'Satansbraten' von 1976, in dem er einen von Stefan George besessenen Autoren mimt) dargestellt, der selber jedoch wegen seines äußerst unangenehmen Dialektes im Sprachausdruck gehandicapped ist, was in einem Hörspiel naturgemäß viel negativer ins Gewicht fällt als in audiovisuellen Medien.
In einer bedauerlicherweise recht kurzen Dialogszene zweier Lesbierinnen lässt Regisseur Gaida die wunderbaren Schauspielerinnen Anne Rottenberger als die Eine und Eva Garg als die Andere brillieren. Was hätte dies in einer längeren Szene für ein Hörgenuss werden können!
Mit Kurt Raab, Lutz Schmidt, Friedhelm Ptok, Matthias Ponnier, Michael Thomas, Anne Rottenberger, Eva Garg u.a.
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