Schwullesbische Popmusik


der HÖRSPIELer Impressum, Datenschutz





Zum HÖRSPIELer-Portal




Feature
'Endlich normal ?
Schwuler Wandel in Deutschland
Thema des Features ist schwuler Wandel in Deutschland. In der Bundesrepublik gilt die Integration von Randgruppen als hohe Norm, die nur selten hinterfragt wird. Aber wird die vorangetriebene Normalisierung wirklich allen schwulen Männern gerecht? Hierzu äußern sich Jochen Hick (Filmemacher), Michael Bochow (Soziologe), Gloria Viagra (Partygröße) sowie Frieder Hentzelt (Psychologe).
mit Thor W. Müller, Tom Wlaschiha,
Jochen Hick, Frieder Hentzelt,
Gloria Viagra, Michael Bochow u.a.
50 Min. | 45 MB | DOWNLOAD / PLAY





Freie und Hansestadt Hamburg




Freie und Hansestadt Hamburg




provokative Hörspiele
provokative Hörspiele
LEO GRELLER & CO

HöRspieler-Homepage von 1999 bis 2009
HöRspieler-Homepage von 1999 bis 2009
HÖRSPIELer ANTIK





Verrat auf dem Land
Verrat auf dem Land
VERRAT

Der Wächter der verbotenen Welt
Der Wächter der verbotenen Welt
DER WÄCHTER






MUSIK

Schwullesbische Popmusik

Berlin im Sommer 2004. Leger gekleidete Frauen sitzen gemütlich auf ihren Hinterhof-Balkonen in Friedrichshain. Aus den Wohnungen schallen hier und dort leise die Küchenradios mit dem Neuesten und Besten, womit der städtische Dudelfunk seine Hörer in dieser Saison unterhalten will. Spärlich bekleidete junge Männer auf City-Bikes jagen mit Kopfhörern auf den Ohren waghalsig über die Potsdamer Straße. Aus den geöffneten Fenstern der im Stau schmorenden Wagen wummern die Bässe der Autoradios, die den Soundtrack zur nachmittäglichen Rushhour liefern. In der Luft liegt deutlich zuviel Ozon – Nicht nur in Form des aggressiven Treibhausgases sondern auch als moldawische Boyband, die weite Teile des Kontinents mit dem diesjährigen obligatorischen Sommerhit versorgt.

Die Stadt popt sich tapfer durch die heißen Monate. Und damit den Hauptstädtern auch im September der Stoff nicht ausgeht, haben findige Geschäftsleute Deutschlands größte Musikmesse, die Popkomm, von Köln nach Charlottenburg geholt.

Berlin nimmt damit eine weitere Hürde zur Medien- und Musikmetropole in Mitteleuropa. Der Umzug in die Hauptstadt bringt Herausforderungen für Veranstalter und Besucher der Messe mit sich: War die Popkomm für Köln und Umgebung regelmäßig willkommener Anlass, die Musikfans mit zahlreichen Konzerten in der Region zu beglücken, so versucht die Messe in Berlin eher die Clubszene zu bereichern. Festivalleiter Dirk Schade setzt hierbei keine gesondert schwullesbischen Akzente: „Wieso etwas herausheben, das ohnehin eine feste Größe in der Stadt ist ?“

Die Popkomm soll unbedingt ein Erfolg werden, denn die Musikbranche dürstet nach hoffnungsvollen Zeichen: Absatzkrise, Kreativitätsflaute und munteres Raubkopieren haben die Gewinne in den letzten Jahren einbrechen und so manche Mitarbeiter arbeitslos werden lassen. In Deutschland ist das CD-Geschäft in den vergangenen fünf Jahren um mehr als ein Drittel eingebrochen. Neue Trends wie mp3-Downloads im Internet wurden verschlafen, ja sogar bekämpft. Lange Zeit zählte nur der schnelle Euro. Man setzte zu Lasten von Innovationen auf große Namen und publicityträchtige Acts. Es treiben gegenwärtig einfach zu viele Bohlens und Raabs ihr Unwesen im Musikbusiness. So wurde bereits seit einiger Zeit originelle und innovative Musik mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt und die Unterstützung von Songschreibertalenten vernachlässigt. Das rächt sich heute.

Im Zuge dieser Entwicklungen hat auch die Popkomm in den letzten Jahren einen Imageverlust erfahren. Viele Plattenfirmen haben ihre Präsenz auf der Messe verkleinert oder gar ganz aufgegeben – Da müssen die Berliner es erst einmal schaffen, die Popkomm zu solch einem erfolgreichen Event werden zu lassen, wie sie es lange Zeit in Köln war.

Immerhin: Für nationale wie internationale Künstler und Bands scheint die Stadt eine große Anziehungsskraft zu besitzen. So ziehen es schwule Sänger wie Krylon Superstar oder Sherry Vine offenbar vor, in Berlin zu wirken, statt sich der von vielen ihrer amerikanischen Landsleute als unangenehm empfundenen Grundstimmung in den U.S.A. auszusetzen. Zudem wächst die Berliner Musikwirtschaft mit ihren ungefähr 6000 Beschäftigten seit einigen Jahren und konnte nicht zuletzt wegen der spektakulären Umzüge von Sony- sowie Universal-Music an die Spree den Anteil am gesamtdeutschen Umsatz von ca. 10% im Jahr 2001 auf satte ca. 60 % im letzten Jahr steigern.

Dennoch sind die Budgets der Plattenfirmen deutlich schmaler geworden. Dies bekommen als erstes die Vertreter von Minderheiten in der Musikszene zu spüren: Independent-Bands, Nachwuchskünstler und schwullesbische Acts. Gerade bei Musik, die gleichgeschlechtliche Lebenswelten berührt, kann jedoch gefragt werden: Ist deren Förderung nicht rückwärtsgewandt und zeigt somit in die falsche Richtung ? Haben sich Schwule und Lesben in der Gesellschaft nicht ohnehin ausreichend etabliert und gerade auf dem kulturellen Sektor genügend Netzwerke gebildet, so dass sie eigentlich nicht mehr besonderer Unterstützung bedürfen ? Berliner Promotion-Agenturen und Musiklabels, die sich mit ihrer Arbeit speziell schwullesbischen Künstlern und Konsumenten widmen, scheinen dies nicht so zu sehen. Das Marketing ihrer Kunden und Zielgruppen unterliegt zu einem guten Teil eigenen Gesetzen.

Bowie?Ein Blick zurück: Seit den 70er Jahren sind Schwule und Lesben in der internationalen Popwelt nicht mehr unsichtbar. Aus heutiger Perspektive erscheinen die 70er und 80er wie eine Zeit des schwulen Hypes in der Musikbranche: Als einer der ersten begann David Bowie, der von 1976 bis 1979 im damals West-Berliner Szeneviertel Schöneberg lebte, erfolgreich männliches Rollenverhalten in Frage zu stellen. Nachdem er bereits Anfang der 70er Jahre fleißig mit Make-up und Haarfarben experimentiert hatte, gab es auch für andere Sänger und Musiker bald kein Halten mehr – Den Glam-Rockern folgte Ende der 70er die Disco-Ära mit provokativen Stars wie Sylvester, Divine und Amanda Lear.

In den 80er Jahren hatte die Welt der Popmusik wenig Probleme mit überwiegend offen schwulen Bands wie Bronski Beat, Frankie Goes To Hollywood oder den Pet Shop Boys. Selbst offensichtlich heterosexuell orientierte Gruppen wie Duran Duran oder auch Modern Talking hatten unter dickem Lidschatten augenscheinlich großen Spaß am androgynen Auftreten. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die damaligen Zeiten jenseits der Mode so entspannt nun auch wieder nicht waren und sich Stars wie Boy George oder Limahl lange nicht auf die schwule Schiene festlegen lassen wollten. In der Bundesrepublik präsentierten sich DAF, Boytronic oder Rio Reiser immerhin kaum dezenter als ihre angelsächsischen Kollegen, wobei die Sexualität der Musiker deren Marketing noch nicht in dem Maß beeinflusst hatte wie in den Folgejahren.

Offen lesbische Sängerinnen oder Musikerinnen zeigten zu jener Zeit kaum Präsenz in den Massenmedien. Hier hatte frau sich mit der Bisexualität einer Gianna Nannini oder Olivia Newton-Johns zu begnügen.

Seit Anfang der Neunziger Jahre ist in der internationalen Musikbranche ein gegenläufiger Trend zum Spiel mit den Geschlechtergrenzen zu verzeichnen: Die Jugendkultur der Popmusik fixiert sich in Deutschland -dem US-amerikanischen Vorbild folgend- auf stark an der Unterschicht orientierte Ausdrucksformen. Gerade Rap-, R&B-, HipHop- und Reggaemusik (Siegessäule 8/04) sind unter männlichen Jugendlichen sehr beliebt. In deren Texten und Videoclips werden patriarchalische Lebensweisen glorifiziert: Wo in den 70er Jahren Glamrocker und in den 80ern androgyne Discosänger das Bild des Musikbusiness prägten, wetteifern seit den 90er Jahren Rapper mit Gangster-Image auf den Musikkanälen in ihren Lyrics und Bildern um den zweifelhaften Ruhm, wer von ihnen als der härteste Macho gilt oder wer bereits am längsten im Gefängnis saß. Undenkbar, dass etwa Latino Sean Paul dem Schwarzen 50cent spaßeshalber einmal einen Klaps auf den Hintern gibt ... . Männer sind eben wieder richtig harte Männer, die am liebsten ausschließlich mit willigen Barbieklonen à la Beyonce oder Britney Spears herumshakern wollen. Da bleibt wenig Platz für toughe Frauen, wie Peaches oder Courtney Love – von homoerotischen Spielereien ganz zu schweigen. Kein ideales kulturelles Umfeld für schwule Jugendliche, die sich heutzutage outen wollen.

Peter Plate, der schwule Part des Duos Rosenstolz, plädiert für Wachsamkeit, damit Rap und HipHop nicht noch homophober werden. Für das Entree des neuen Videos von ihm und Sängerin Anna `Ich will mich verlieben´ baten die beiden, den in Sachen sexuelle Minderheiten ansonsten wenig zimperlichen Deutschrapper Kool Savas aufzutreten und er tat es. Plate: „Vieles von dem Rap kommt auch mit `nem Augenzwinkern. Man sollte differenzieren: Wo fängt es an, schwulenfeindlich zu werden und wo sind es einfach nur coole Mackersprüche, die vielleicht mal über´s Ziel hinausschießen ? Man sollte stattdessen lieber fragen: Wie kann ich mit diesen Menschen zusammenarbeiten ? Damit sie vielleicht in Zukunft lieber einmal mehr nachdenken, bevor sie drauflostexten. Viele von denen meinen es nicht böse, sondern sind wirklich naiv und halten das vielleicht für witzig, was sie gerade rappen, ohne darüber zu reflektieren. Daher liegt meine Aufgabe als Künstler im Dialog. Ich würde keine homophoben Songs supporten aber ich halte auch nichts von Zensur, denn das würde die Bewegung noch viel größer machen. Man muss seine Feinde eben ab und zu umarmen. Das bringt mehr als zu sagen `Ich schalte jetzt einen Anwalt ein´“

Gab es in der Zeit der 70er und 80er Jahre einen regelrechten Hype in Sachen schwuler Popmusik-Ästhetik, so ist seit den Neunzigern immerhin so etwas wie ein leichter lesbischer Trend auszumachen: Neben wirklich lesbischen Künstlerinnen wie K.D. Lang, Melissa Etheredge oder Skin gilt es gerade auch in Deutschland für Sängerinnen als chic, sich als bisexuell zu outen. Was Lucy van Org Mitte der 90er Jahre recht war, ist für den gecasteten „Superstar“ Elli gerade noch billig, wenn es darum geht, möglichst breite Käuferschichten anzusprechen. Einigen wirklich `alltagsgetesteten´ Lesben wie der Kölner Sängerin Villaine ist ihr Bedürfnis, in ihren Texten offensiv rein weibliche Lebens- und Liebeswelten zu thematisieren, sicher abzunehmen – Inszenierungen wie das Liebesverhältnis zwischen den beiden Tatu-Sängerinnen Julia und Elena sowie der legendäre Kuss von Madonna und Britney Spears auf MTV lassen jedoch erahnen, dass in Sachen Frauenliebe die Toleranz in den westlichen Gesellschaften keineswegs dramatisch gestiegen ist. Man liegt vermutlich nicht ganz falsch mit der Vermutung, dass mit solchen Shows in erster Linie zutiefst heterosexuelle Männerphantasien bedient werden sollen. Dabei haben natürlich ebenfalls zahllose nicht-schwule und nicht-lesbische Künstler und Künstlerinnen wie Madonna oder Marianne Rosenberg Musik gemacht, die Homos beiderlei Geschlechts viel gegeben hat.

Die lebende schwule Poplegende Jimmy Somerville (früher Bronski Beat) vertrat gegenüber der Siegessäule die Auffassung, dass homosexuelle Stars, die Wert auf hohe CD-Verkaufszahlen legen, ihr Liebesleben eher nicht in der Öffentlichkeit oder in ihren Songs thematisieren. Ihm selbst ist dieser Balanceakt während seiner Karriere erspart geblieben, da er gleich mit seinem ersten Hit `Smalltown boy´ den Offenbarungseid auf seine sexuelle Orientierung geleistet hat.

Ob nun aber offen, zurückhaltend oder verdeckt wie-auch-immer-sexuell: Frauen jeglicher Orientierung greifen fernab billiger Publicity-Gags nach der Gitarre, den Synthies oder sonstigen Klangerzeugungskörpern. Dieser Trend ist unverkennbar, international und sehr erfreulich. In den letzten Jahrzehnten hatten sich lesbische Musikerinnen nach Ansicht von Stefan Kae von Universal-Music im Vergleich zu ihren schwulen Kollegen nur selten ausreichend artikuliert: „Die Homoszene hatte im Musikbusiness bisher immer einen stark männlichen touch“. Ähnlich sieht dies auch Steve Morell vom Berliner Pale-Label: „Die lesbischen Künstlerinnen brauchten länger, um sich zu etablieren. Dafür kommen sie jetzt aber um so stärker.“ Bands wie `Rhythm Kings And Her Friends´ aus Berlin, die `Indigo Girls´ oder die feministisch-lesbische Frauentruppe von `Le Tigre´ mögen ihm hier recht geben.

Die Popmusik war in ihrer Geschichte eigentlich immer eine Bastion der Teenager und Twens. Der Faktor Jugend hat dabei in den letzten 10-15 Jahren eher noch an Bedeutung gewonnen. Anders als man es aufgrund einer Bevölkerungsentwicklung hin zu immer mehr älteren Menschen in den westlichen Industrienationen vermuten sollte, sprechen Soziologen von einem Trend zur Infantilisierung der Popmusik. Dieser begann bereits zaghaft in den 70er Jahren mit Gruppen wie den `Bay City Rollers´ oder auch den `Jackson 5´ und hat sich im Laufe der Zeit immer weiter hochgeschaukelt bis zu gecasteten Boygroups, wie jüngst den offen schwulen `Marilyn’s Boys´. Peter Plate von Pop-Out über das Phänomen der singenden Pausbacken: „Die Industrie hat in den letzten 15 Jahren nur auf die Jugend geschaut, ohne die Bevölkerungsentwicklung zu beobachten. Es macht wenig Sinn, immer mehr Retortengruppen mit einer Halbwertzeit von 2-3 Jahren zu schaffen. Man fährt vielleicht kurzfristig schnelles Geld mit ihnen ein aber die Substanz der Musikszene bleibt dabei auf der Strecke. Auch über 30jährige wollen gute Musik hören. Die muss jedoch auch produziert werden.“

Was den Jugendwahn in der Popmusik anbelangt, sind einseitige Schuldzuweisungen an die Adresse der Industrie gerade von schwuler Seite, wo in weiten Teilen ebenfalls junge Körper als Schönheitsideal gelten, nicht besonders glaubwürdig. Nach Meinung von Johannes Cordes von Universal-Music erklärt sich die Infantilisierungswelle in der Popmusik aber auch damit, „ ... dass sich die Pubertät in den Industriestaaten immer weiter nach vorne verschiebt. 8jährige, die früher Rolf Zuckowskis Platten geschenkt bekommen hätten, hören heute die No Angels, die Preluders oder Metallica.“ Daher ist auch die Frage der Vorbildfunktion von Popsängern für junge Menschen von Interesse: Genauso, wie das Image von Stars wie Eminem oder 50cent für die Spiele von Jungen auf dem Schulhof relevant ist, sind es in einer Gesellschaft mit stetig sinkender sexueller Hemmschwelle ebenso die Outings lesbischer oder schwuler Sängerinnen und Sänger - Wie etwa dem britischen Will Young, der sich erst nach seinem Sieg bei `Pop-Idol´ zum Schwulsein bekannte.

Auch wenn die Berliner Djane Zoe offen lesbischen oder schwulen Popstars keinen nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung homosexueller Jugendlicher attestieren möchte, meint sie doch: „Ein Vorbild sind sie vielleicht durch ihren selbstbewussten und entspannten Umgang mit ihrer Sexualität. Ganz nach dem Motto `ich bin schwul und das ist auch gut so.´“ Anders sieht dies Moderator Peter Illmann, früher `Formel 1´: „Die Rollenvorbild-Funktion von Popstars, gerade für verunsicherte schwullesbische Jugendliche, kann gar nicht überbetont werden. So schnell, wie gerade die jungen Nachwuchsstars heutzutage wieder weg vom Fenster sind, kommen sie aber leider gar nicht mehr dazu, sich erst einmal künstlerisch zu etablieren, bevor sie sich outen. Dabei ist gegen den `Makel´ der Homosexualität für Sänger und Sängerinnen aber viel leichter anzugehen, wenn sie sich bereits nachhaltig in der Popwelt behauptet haben. Und deshalb sind die wirklich großen schwulen Popstars wie George Michael oder Elton John auch schon etwas reifer an Lebensjahren.“

Offensichtlich stößt aber auch die Infantilisierung in der Popmusik langsam an ihre Grenzen. Wenn beispielsweise im französischen `Top of the Pops´ der 61jährige Johnny Hallyday vor begeisterten Jugendlichen auftritt und die Achtzigerjahre-Darkwave-Band Abortive Gasp Rekordklickzahlen im Internet einfährt, merken allmählich sogar einige Musikproduzenten, dass es bei jungen Menschen durchaus ein Bedürfnis nach reiferen Idolen gibt, das es zu bedienen gilt.

Zurück nach Berlin: Hier wurde im Jahr 2000 in Schöneberg die Agentur Pop-Out gegründet, die zwischen Industrie, Künstlern und schwullesbischen Konsumenten vermitteln will. Ein eher idealistisches Vorhaben, das bisher dem Vernehmen nach keine nennenswerten Gewinne abgeworfen hat. Die Mitarbeiter der Agentur hatten die Erfahrung gemacht, dass es schwierig war, den großen Major Labels zu vermitteln, wie vorteilhaft ein zielgruppenorientiertes Marketing in schwullesbischen Magazinen für Bands wie beispielsweise Rosenstolz sein würde. So mögen sich viele Musikinteressierte gerade jenseits der 30 die häufig grenzdebilen Programme von Musiksendern wie MTV, VIVA oder auch des Hörfunks nicht antun und können sich daher eigentlich nur über Printmedien oder das Internet über das Musikgeschehen informieren. Die Industrie krankt jedoch schon lange daran, alle Bands und Künstler mit einer 0815-Vermarktungsstrategie promoten zu wollen. Peter Plate: „Schwule und Lesben brauchen eigentlich keine eigenen Promo-Agenturen. Nur weil ein Produkt schwul oder lesbisch ist, verdient es keine Aufmerksamkeit – Wohl aber, wenn es schwul oder lesbisch und gut ist. Dann verdient es zumindest eine zielgruppengerechte Vermarktung. Und genau die versucht Pop-Out zu gewährleisten.“

Über nachtaktive schwule und lesbische Musikkonsumenten macht sich Steve Morell Gedanken. Er ist Chef des in Kreuzberg ansässigen Labels `Pale Music´, das auch Platten des schwulen Künstlers Namosh veröffentlicht. Morell, der gerade den Jonathan-Richman-Song `I was dancing in a lesbian bar´ gecovert hat, meint beobachten zu können, dass die schwullesbischen Kids langsam genug von ihrer freiwilligen Ghettoisierung im Musikleben haben: „Eine größere Offenheit gegenüber anderen Musikstilen ist angesagt. Schwule und lesbische Partygänger haben schon seit längerer Zeit die Nase voll von der House- und Technomusik, die in den angesagten Clubs der Szene läuft.“ Und so kann man immer mehr von ihnen öfter auch in gut gemischten Läden wie dem `White Trash´ oder dem `Rio´ antreffen.

Über die gemeinsamen Netzwerke der Musikerszene in der Hauptstadt meint Morell: „In Berlin hilft jeder jedem, egal wie er orientiert ist. Ganz nach dem Motto `I believe when you believe´. Sexuelle Orientierungen spielen keine Rolle. Gegenseitiges pushen ist angesagt, nicht gegenseitiges dissen. Erlaubt ist einfach, was gefällt.“

Die alte Mär, nach der speziell Schwule und Lesben im künstlerischen Bereich auf Netzwerke von Gleichgesinnten zurückgreifen könnten, scheint für das Popbusiness allerdings kaum zuzutreffen. So haben Männer- und Frauenbilder, die in den Produkten der Musikindustrie vermittelt werden, natürlich viel mit der Einstellung der jeweiligen Entscheidungsträger zu tun. Bei Sony - und Warner Music genau so wie bei MTV, das demnächst VIVA schlucken wird. Nach den Medieninhalten zu urteilen, scheinen diese Herren unverändert ziemliche Machos zu sein. Frauen oder gar bekennende Schwule macht man kaum in ihren Reihen aus. Wo sind denn die Homos in den Schlüsselpositionen der Musikindustrie ? Leute, die wenigstens ab und zu gegenhalten könnten, wenn wieder einmal rein heterosexuelle Sendeformate oder Verlagsprogramme beschlossen werden ? Menschenfreunde, die Zuschauer vor bikinistrotzenden Videoclipps bewahren oder wenigstens Daniel Küblböck hätten verhindern können ?

Dabei müssen die Männerrunden in den oberen Etagen der Musikindustrie nicht einmal absichtlich homophobes Verhalten an den Tag legen, welches ihren nicht-heterosexuellen Berufsgenossen die Arbeit erschwert: Was passiert beispielsweise einem schwulen Produzenten, der keine feuchtfröhlichen Clubabende mit Branchenkollegen verbringen möchte, auf denen zu einem guten Teil über weibliche Vorzüge und schnelle Autos geredet wird ? Er wird vermutlich häufig keine guten Deals abschließen können.

Diese Schwierigkeiten lassen sich nach Produzent Peter Plate durch unterschiedliche Wellenlängen erklären: „Wenn mein Freund Ulf [ebenfalls Produzent] und ich in `ner Hetero-Fußballmannschaft spielen würden, dann würden die anderen Spieler hinterher mit uns nicht unbedingt einen saufen gehen wollen, aber wir mit denen ja auch nicht. Ich fühle mich in der Musikindustrie -anders als noch 1995- wirklich nicht mehr diskriminiert. Die Kollegen kommen teilweise mit ganz süßen Ideen, nach dem Motto `Willst du nicht mal `nen schwulen Künstler aufbauen ?´ - Wo ich dann sage: `Das interessiert die Schwulen nicht, ob der Sänger nun homo ist oder hetero. Der muss einfach gute Musik machen.´ Dieses Reißbrett-Ding `Wir suchen mal `nen schwulen Künstler, stecken eine Menge Geld hinein und machen den groß´ - das funktioniert einfach nicht. Die Industrie ist schon sehr offen - Dass jemand abgelehnt wird, weil er schwul ist, das glaub´ ich nicht.“
Bleibt zu hoffen, dass Pop-Out sich irgendwann einmal überflüssig machen wird. Der nächste Sommer und die nächsten Hitzefrei-Pophits kommen jedenfalls mit Sicherheit ... .