Groupiedämmerung - Ein Abend im Hickhack
In einem Berliner Club kam es kürzlich zu einem Zwischenfall, an dem der sympathische Künstler Leo Greller sowie drei seiner Fans beteiligt waren. Die polizeilichen Ermittlungen dauern an, noch herrscht Verwirrung vor. Fest steht: Leo wird nach diesem Vorfall kaum mehr derselbe sein, der er vor dieser Nacht im 'Hickhack' war.
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Provokationskunst mit Folgen
In einem Berliner Club
kam es kürzlich zu einem Zwischenfall, an dem der sympathische Künstler
Leo G. sowie drei seiner Fans beteiligt waren. Die polizeilichen
Ermittlungen dauern an. Es konnte noch nicht endgültig geklärt werden,
was genau sich kurz vor drei Uhr morgens in einem Hinterzimmer des Clubs
abspielte. Fest steht jedoch schon jetzt: Leo wird nach diesem Vorfall
kaum mehr derselbe sein, der er vor dieser Nacht in Moabit war.
Vielleicht war es die Kombination aus Fetisch-Sex-Event sowie
professioneller Publikumsbeschimpfung an diesem Abend, die zu der
aufgepeitschten Atmosphäre in einem Hinterzimmer des Clubs führte, in
dem sich der Künstler nach seinem Auftritt zur Ruhe begeben hatte und in
dem sich ein ehemaliges Groupie, ein Fan sowie ein Mitläufer an ihm
vergingen. Das Groupie gilt als Anstifterin der Tat und befindet sich
zur Zeit in Untersuchungshaft. Im folgenden einige Personen, die an
besagtem Abend ebenfalls in dem Club, der sich in einem verlassenen
Industrie-Areal befindet, anwesend waren und eventuell Licht ins Dunkel
der unschönen Vorgänge um den in letzter Zeit vom Schicksal gebeutelten
Leo G. bringen können:
Als Freund des schnellen Springens über die Kanäle hätte ein Mitläufer
die fragliche Nacht vermutlich lieber daheim im Fernsehsessel verbracht.
Von solchen dramatischen Ereignissen, wie dem Kampf `Moderne´ gegen
`Dekadenz´ im HickHack-Club, wird in der Glotze allerdings nur selten
berichtet. Hierfür würden sich vermutlich keine Kunden für die
Werbezeiten finden. Im Angesicht der eskalierenden Ereignisse in Moabit
konnte auch keine Fernbedienung für Mäßigung sorgen: Das Programm stand
fest - Lautstärke und Szenenabfoge lagen in der Hand der anwesenden
Protagonisten. Die Frage, ob diese hierbei ihrer Verantwortung gerecht
wurden, bleibt vorerst ungeklärt.
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Der Schlaf eines Unschuldigen
Was nun tatsächlich in dieses turbulenten Nacht in der Partymetropole an der Spree vorgefallen ist, kann vielleicht noch am ehesten durch das ebenfalls auf dieser Seite herunterladbare Hörspiel herausgefunden werden. Es waren verschiedene Charaktere mit unterschiedlichen Eigenheiten und Leidenschaften vor Ort. Hören Sie das Radiodrama mit den Originalstimmen den Hörspielsprecher!
Zwar ist `Schlafen´ nach seiner eigenen Aussage Leos zweitliebste Tätigkeit - aber als er
sich nach seinem Auftritt, durch den er übrigens keine neuen Freunde
gewann, an jenem Abend erschöpft auf ein versifftes Sofa hinter der
Bühne im HickHack-Club sinken ließ und entschlummerte hatte ihn nicht
nur die Müdigkeit, sondern auch der Leichtsinn übermannt: Er war nicht
alleine in dem Raum, sondern zusammen mit ehemaligen Groupies, Fans und
Bewunderern. Greller-AnhängerInnen
zeichnen sich allerdings durch für Außenstehende besonders befremdlich,
ja geradezu exzentrisch anmutende Verhaltensweisen aus, was Leo
möglicherweise zum Verhängnis werden sollte. Die Erlangung finalen Ruhms
hatte er sich jedenfalls anders vorgestellt ...
Einem weiblichen angeblichen Fan Leos sagen wir: `Nein, Madame !
Wenn Sie uns auf unsere Frage, was denn an jenem Abend im HickHack-Club
Spektakuläres passiert sei, lediglich von einer grandiosen
Nackenmassage, die Ihnen zu teil wurde, berichten, dann hilft uns das
nicht wirklich weiter. Natürlich ist es erfreulich, dass Sie eine
optimale Methode zur Förderung Ihres körperlichen Wohlbefindens gefunden
haben - aber mit Verlaub: ENTSPANNUNG ist nun ziemlich genau das
Gegenteil, wozu Sie und Ihre Begleiter Herrn Greller in dieser Nacht
verhalfen. Aber sich `Fan´ nennen ! Hätten Sie Ihr ehemaliges Idol mal
lieber harmlos massiert, anstatt ...´
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Jede Menge Verdächtige
Man sollte sich vom unschuldigen Lächeln eines ebenfalls festgehaltenen
weiblichen Groupies nicht beeindrucken lassen. Würde man mit ihm im
selben Raum wirklich einen ruhigen und sicheren Schlaf finden ? Der
sympathische Provokationskünstler Leo hat es am Rande einer
Fetisch-Nacht versucht weil er sich von seinem anstrengenden Auftritt
erholen wollte. Mittlerweile hat er seinen Leichtsinn bereut. Das
nebenstehende Foto stammt aus der Nacht des Schicksals und
wurde nach dem für die meisten Außenstehenden nur schwer nachvollziehbaren
gemeingefährlichen Vorfall im Berliner HickHack-Club aufgenommen.
Eine Frau, die man nicht unbedingt im HickHack-Club erwartet hätte, muss
sich ebenfalls vor der Polizei rechtfertigen: Edith Schröder aus
Berlin-Neukölln. Dort hat sie es mit Beharrlichkeit und einer gehörigen
Portion Womanpower zu einiger Berühmtheit gebracht. Mittlerweile spielt
sie in Fernsehserien wie `Verdreht in Berlin´ irritierende Nebenrollen
und ist auf dem besten Wege, vom Seniorenfernsehen zur neuen Mutter der
Nation aufgebaut zu werden. Hoffentlich regt sich das Berliner Original
wegen der Schlagzeilen der Yellow-Press nach dem dramatischen Abend in
dem Moabiter Nachtclub nicht zu sehr auf in ihrem Alter ! Das würde sich
Leo Greller nie verzeihen ...
Ein festgenommener Flaneur versichert glaubhaft, in der fraglichen Nacht
keinesfalls wegen Leo den HickHack-Club besucht zu haben. Allem
Anschein nach ging es ihm bei dem Event um vordergründigere
Sinnesfreuden als die Darbietungen Grellers. Leider nervt der Flaneur
genannten Sexclubs als einen Ort der Aufklärung. Auch die Metaphern
weißer und rosa Kaninchen für einander widersprechende Artikel des
deutschen Grundgesetzes, die er ins Spiel bringt, vermögen wenig Licht
in die verworrene Situation zu bringen.
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Massage mit Regeln
Also, ich gebe zu - in einem Punkt bin ich wirklich schuldig: Für `ne gute Nackenmassage könnte ich manchmal wirklich töten. Das war aber bisher nie nötig - damit hier keine Missverständnisse aufkommen! Körperliche Gewalt und die Kunst des Massierens passen meiner Ansicht nach überhaupt nicht zusammen.
Sexualaufklärung ist eine notwendige und außerdem eine wunderbare Sache - zumal wenn es nicht die eigenen Kinder sind, denen man das Handwerkszeug für eine gelungene Sexualbiografie an die Hand gibt. Gerade in Deutschland ist das Wissen um die wichtigsten Regeln im sexuellen Umgang miteinander mindestens genau so wichtig, wie beispielsweise die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung - ist doch so! Es gibt Vorfahrtsregeln, es gibt Ampeln, die auf rot schalten, Geschwindigkeitsbegrenzungen,
recht vor links, natürlich ... und möglichst nüchtern, das Ganze. Und zum Glück freie Fahrt für freie Bürgerinnen und Bürger. Man muss den Sexkünstlern von morgen natürlich schon früh vermitteln, wie sie später am Geschicktesten verhandeln, um möglichst viel ihrer eigenen erotischen Bedürfnisse selbstbewusst umsetzen zu können. Unbehindert von kulturell vorgegebenen Hierarchien. Ist meine Meinung - sonst kann man sich das Ganze gleich schenken.
Tasten, kneten, dehnen, drücken, reiben, berühren - Massage! Wunderbar! Es ist vermutlich die moderne Umwelt, die einen immer wieder so verspannt - Arbeit, Beziehungsstress, Freizeit ... . Und wer ein guter Masseur ist -oder eine gute Masseuse- das ist oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Wäre wohl auch zu einfach. In solchen Clubs wie dem HickHack ist die These, dass eine gute Massage schlechtem Sex vorzuziehen ist, im Moment wohl noch nicht mehrheitsfähig. Daran kann man aber arbeiten - und schließlich gibt es ja auch noch Tantra.
Auf keinen Fall werde ich auf dem HickHack herumhacken. Das tun schon genug Leute; Presse-Schreiberlinge vor allem, die noch nie dort waren, die aber trotzdem `ne Meinung zu der Szene haben. Ich bin zwar keine regelmäßige Besucherin dieses Clubs: Aber ich find´s schon peinlich, was abgeht, wenn irgendwelche berühmten Hollywoodstars ihren neuesten erotisch angehauchten Film in Berlin vorstellen und im HickHack feiern wollen: Dass dann nämlich wegen der Pressefritzen die HickHack-Stammgäste nicht hineingelassen und durch langweilige Models ersetzt werden. Ein schwaches Bild ...
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Grottenschlechte Talkshows
Mal ehrlich: Wer konnte vorher ahnen, dass es so enden würde ? Es gibt einfach zu viele Freaks - so ist es doch! Und warum hacken eigentlich alle auf der Idee friedlicher und gemütlicher Fernsehabende herum ?
Also zugegeben: Die Nacht im HickHackClub war natürlich um Längen aufregender als ein Abend vor der Glotze. Obwohl: Mattscheibe kann natürlich auch immer wieder mal ganz schön grausam sein. Ich erinnere mich: Den Leo Greller hab´ ich ja vor einiger Zeit schon wieder im TV gesehen. Nicht in dieser Talkshow am Alex in Berlin, sondern in einer von den St. Pauli-Landungsbrücken in Hamburg, wo er ja eigentlich herkommt: Also vom NDR. Da wurde er befragt von so `nem Moderatorinnen-Duo: `Ner pummeligen Blonden und `ner drallen Brünetten. Da hatten die sich darüber ausgelassen, dass der Greller in ihren Augen zu bescheiden sei, wenn er den Leuten in Deutschland nicht einfach sagen würde, wie es wäre: dass er nämlich gar nicht so ein großer Loser sei, wie die meisten denken würden und dass er damit aufhören solle, seinem Publikum zu verheimlichen, dass er in Schweden schon seit Jahren ein richtig großer Star wäre - mit einer eigenen Sendung im Privatfernsehen. Das wäre in unseren Breitengraden -so bescheuert haben die sich glaub´ ich ausgedrückt- schließlich kaum bekannt !
Daraufhin hatte er so´n bisschen rumgedruckst und erklärt, dass es ja eigentlich gar nicht so spektakulär sei, in Stockholm ein kleiner Star zu sein; Dass sein Erfolg bei den Wikingern eigentlich ja nur daherrühre, weil seinen melancholischen Texten bei Nordlichtern, die kein Deutsch verstehen, etwas faszinierend Surreales anhaftet. Die brünette Moderatorin hatte währenddessen die ganze Zeit gekichert.
Wirklich schräg, Leos Auftritt in dieser grottenschlechten Talkshow im NDR! Ich glaube, er hatte zeitweise sogar ein paar Tränen in den Augen. Ich hatte zuerst nicht so ganz verstanden, weshalb. Ich meine, dieses Moderatorinnenpaar war natürlich schon gruselig:
Aber dass der Greller deshalb mit den Tränen kämpfen musste !?! Ein Würgereiz wäre da ja vielleicht naheliegender gewesen. Die Kamera hatte gleich weggeblendet, als man es in seinen augen glänzen sehen konnte.
Auf seiner Homepage, wo er noch mal auf die Talkshow einging, habe ich dann nachgelesen, dass das an einem gewissen Architekten namens Bagdadi lag, der ebenfalls mit in der Talkrunde saß. Also der, der vom Hamburger Senat immer bevorzugt die großen Bauvorhaben in der Stadt entwerfen darf ... . Als dann als Einspielung in der Show ein Film lief, wo einige von Bagdadi entworfene `Gebäude´ gezeigt wurden, sei es einfach über Leo gekommen und -das erklärte er auf seiner Homepage- er musste wohl daran denken, wie seine schöne Heimatstadt von einigen Profitgeiern und der Politmafia immer mehr verschandelt wurde in den letzten Jahren. Daher die feuchten Augen. Ich finde `neu´ ja manchmal ganz gut: Echt sensibel, der Leo Greller!
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Bahnsteige hochklappen
Warum soll ich es leugnen ? Die Mühe kann ich mir sparen: Ich war zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort und ich bin nach wie vor eine autonome Person. Eine Bürgerin, wenn Sie so wollen, die ein Gespür dafür hat, wann was zu tun ist. Und die das dann auch tut - mit allen Konsequenzen. Allen. Für sie selbst und andere, ja.
Menschenmassen sind mir eigentlich zuwider: Viele Leute ohne Engagement dabei, Mitläufer. Im vorliegenden Fall sogar Perverse, wenn man das heute noch so nennen darf. In einer Stadt wie dieser ist nichts wirklich mehr pervers und das ist ja vielleicht auch ganz gut so. Trotzdem kann es wohl nicht schaden, wenn diesem bunten Personenkreis ab und an mal aus berufenem Munde die Leviten gelesen werden. Wenn wenigstens der Versuch unternommen wird, denn die Begleitumstände sind ja nicht wirklich harmlos: Andacht, Strafe, Hass, Auserwähltsein ... da muss man allerdings sehr aufpassen, nicht ins Religiöse abzurutschen, was durchaus passieren kann, wenn man sich manche Kostüme von Freaks in dieser Fetischnacht im HichHackClub vor Augen führt. Vergebliche Liebesmüh´ ? Vielleicht.
Den Leuten den Spiegel vorhalten, das ist auf jeden Fall zu bejahen. Und eigentlich genau die richtige Aufgabe für jemanden wie Leo. Eigentlich. Aber in dieser Nacht ...
Psychisch Labilität muss ja nicht grundsätzlich was Schlechtes sein. In solch einem Zustand erreichen Echtheit und Authentizität doch ganz andere Wertigkeiten. Das muss dann auch nicht unweigerlich dazu führen, dass man an unpassendem Ort seinen Nagellack verschüttet. Apropos `unpassender Ort´ - Es gibt nach meiner Erfahrung nun einmal so etwas wie `magische Orte´ mit einer ganz speziellen Ausstrahlung, wo etwas in der Luft hängt - ob das nun ein Bahnhof in Bad K. ist oder eine miefige Theaterkasse in Wilmersdorf oder ein Nachtclub in `nem ollen Industriegebiet: Die Besonderheit der Umstände kann niemals abschließend analysiert werden - das liegt vermutlich in der Natur der Sache: Es mag ja angehen, dass das Vorhandensein von Kopfkissen, Nagellack oder BND-Mitarbeitern die Devianzprognosen von Kriminologen ungünstig beeinflussen ... aber was will man mit diesem Wissen anfangen ? Theater schließen, Bahnsteige hochklappen, Nachtclubs in Museen umbauen ? Das kann es doch auch nicht sein ... . Also, man akzeptiert besser, dass es solche besonderen Orte gibt - ist meine Meinung.
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Die Häsin und der Paragraf
Ich hab mich ja zum Glück instinktiv rausgehalten aus der Sache hinter der Bühne. Aber wo ich gerade dabei bin, will ich hier jetzt mal was über das Sittengesetz sagen: Das ist nämlich gar kein richtiges Gesetz, das ist ?
Hierzulande hat es die westliche Moderne ja mit dem Grundgesetz zu tun - auch in Berlin. Viele mehr oder weniger gut gemeinte Artikel, die uns Westler schützen sollen: Vor anderen und vor uns selbst. Und bei den Artikeln im Grundgesetz stoßen wir ebenfalls wieder auf rosa und auf weiße Kaninchen, die nicht wirklich gut zusammenpassen:
Da haben wir in weiß: Artikel 6, Absatz 1 über Ehe und Familie: Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Schön für die Mamis und Papis in Stegliz - Da können die nachts ruhig schlafen.
Aber in rosa haben wir dann auch noch Artikel 2, Absatz 1 über die persönlichen Freiheitsrechte: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Die vertragen sich nicht besonders gut, rosa und weiße Artikel - das ist kein Geheimnis. Wäre vielleicht doch einfacher, wenn alle `Bunnies´ wären.
Es gibt in Deutschland leider viel mehr bekannte männliche Hasen als prominente scharfe Häsinnen: Mümmelmann, Meister Lampe und natürlich alle möglichen Rammler. Die scharfen Häsinnen sind alles Amerikanerinnen. Und in den USA heißen die nicht Hase, sondern Bunny - das ist schön einheitlich! Aber ich unterhalte mich doch nicht mit meinen Freunden vor dem Sexclub und sage `hoffentlich sind viele scharfe Bunnies in dem Laden´. Da käme ich mir doch lächerlich vor!
Worauf man sich vielleicht einigen könnte wären Kaninchen: Rosa und weiße. Kaninchen sind geselliger als Hasen. Egal, ob jetzt rosa oder weiß. Aber ich glaub´, die rosa Kaninchen hat alle Hitler gestohlen. Hasen und Kaninchen sind ja dämmerungs- und nachtaktiv, wie man weiß. Insofern stimmt der Vergleich. Wo er dann wieder hinkt, ist das Ding mit der Fruchtbarkeit: Die ist bei Hasen und Kaninchen ja sehr hoch, aber bei den Hickhackern ... ? Naja, will man´s wissen ?
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Aufklärung aus der Nogatstraße
Mit dieser ganzen Geschichte um den Anschlag auf den Hamburger Sänger und Provokationskünstler, der an dem Abend, an dem ich ebenfalls im Hickhack-Club war, habe ich eigentlich auch gar nichts zu tun. Ich lehne Gewalt natürlich in jeder Form ab - auch wenn mir andere Leute nun gerne was anderes unterstellen. Und diesen Leo Greller, den kenne ich sowieso nicht. Hat sich mir nicht vorgestellt ... . Naja, nun ist es ja auch zu spät.
Da drin in diesem Nachtclub, wo ich mich neulich Nacht so ein bisschen umgeschaut habe, war ein sehr garstiges Gedränge - au weia! Aber ich habe da wirklich so einiges zu sehen bekommen - Ich kann ihnen sagen: Mein lieber Herr Gesangsverein! Aber bei der Enge ruiniert man sich noch die Frisur zwischen den ganzen Süßen. Hat mir aber Spaß gemacht ... sowas gibt es ja nicht in Neukölln. War jedenfalls sehr zu empfehlen, der Rummel im Hickhack-Club. Aber für mich wurde es dann auch bald höchste Zeit, mich wieder nach Hause in die Nogatstraße zu begeben.
Da wohne ich nämlich immer noch, obwohl ich ja sogar schon eine eigene Vorabendserie im ZDF hatte, wo ich als taffe Frührentnerin benachteiligten Jugendlichen aus unserem schönen Problembezirg in Privatinitiative nicht etwa Strick- oder Sprach, sondern handfesten Sexualaufklärungsunterricht gegeben habe, wogegen Sozialarbeiterinnen einen vergeblichen Aufstand anzettelten. Das war überhaupt nicht unglaubwürdig, wie viele behaupteten. Im Gegenteil: Es wurde ja dann für die von mir gespielte Neuköllnerin richtig brenzlig als ich von neidischen Sozialklempnern daraufhin beim zuständigen Glaubenswächter angezeigt wurde. Was danach kam, war eigendlich nicht mehr so ganz für's Vorabendprogramm geeignet. Aber beim ZDF hatten sie offenbar eine Schwäche für diese spezielle Art Neuköllner Sozialromantik. Die Serie wird bestimmt bald fortgesetzt werden.
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Erziehungszeiten von Haustieren
Mein Leben als kritischer Sänger, streitbarer Schauspieler und politischer Provokateur 'Leo Greller' hat sich nach einem sehr beunruhigenden Vorfall, der sich kürzlich in Berlin ereignete, schlagartig verändert. Der heimtückische Anschlag auf mich, machte mir klar, dass einige Aktionen und einiges Handeln von mir teilweise doch recht kritisch gesehen werden. Dass man mir einige Dinge aber auch ewig nachträgt!
Als Kleinkünstler, der nicht viel zu verlieren hatte, konnte ich eigentlich stets bei meinem hedonistischen Gefolge den Finger in diverse offene Wunden legen und es mit der Hoffnung auf Heilung quälen. Aber dafür wurde ich natürlich nicht nur geliebt. Es gehörte für mich dazu, mein Publikum als 'degenerierten Abschaum' zu beschimpfen, als Verlierer, die nichts weiter als ihre sexuelle Abgestumpftheit zelebrieren. Viele lachten, wenn sie derartige Leviten von mir zu hören bekamen - ihre Art, diese Demütigungen wegzustecken. Trotzdem hatte ich zum Beispiel an dem bewussten Abend noch eins draufgegeben und kritisiert, dass die Sexszene Berlins schon lange überhaupt nicht mehr politisch ist.
Aber selbstverständlich habe ich die Leute nicht nur provokativ kritisiert, sondern auch wohlgemeinte Ratschläge gegeben. So habe ich ihnen nahegelegt, sich politisch dafür einzusetzen, dass Erziehungszeiten von Hunden und anderen größeren Haustieren künftig als 'rentenrelevant' eingestuft werden sollten, da ihre Aussichten für´s Alter ansonsten mehr als trübe wären. Aber auch das wollte aber natürlich kaum jemand gerne hören. Jedenfalls waren das Gepfeiffe und die Buhrufe lauter danach lauter als meine Show. Naja, viel Feind, viel Ehr ... . Aber es war im Nachhinein betrachtet eigentlich fast folgerichtig, dass sich einige Individuen aus dem Publikum nicht mehr im Griff hatten und mich daraufhin in meiner Garderobe, wo ich gerade eingeschlafen war, heimsuchten.
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Neben einer großen Anzahl wunderbarer menschlicher Eigenschaften zeichnet sich der Berliner Provokationskünstler Leo Greller auch dadurch aus, in politischen Zusammenhängen lediglich über ein unterdurchschnittlich ausgeprägtes Gefühl für das rechte Maß zu Verfügen:
Er ist eben im positiven Sinne fanatisch, denn zum Glück steht er auf der Seite des Staates. Einmal mehr wurde ein unbequemer Provokateur vom Freiheitskämpfer zum Freiheitsdämpfer. Anyway ... !
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Verrat durch 'Mutter Staat' ?
Auf welcher Seite der
Gesellschaft würden Angehörige der 68er-Generation stehen, wenn sie
heute jung wären ? Würden sie sich in alternativen Projekten
wiederfinden ? Oder würden sie, da mittlerweile der 'Marsch durch die
Institutionen' erfolgreich abgeschlossen wurde, als Teil expandierender
Behörden die Bürger bemuttern, um sie 'vor sich selbst zu schützen' ?
Dieser und anderen delikaten Fragen widmet sich die neue Hörspiel-Satire
'Gewalt geht immer'.
In ihr wird das Dilemma des politisch korrekten Liedermachers Leo
Greller beschrieben, der seit Jahren fester Bestandteil der modernen
'linken Szene' Berlins ist. Ganz besonders lässt sich dieser Künstler
von der zeitgemäßen Version des Matriarchats als allumsorgendes und
machtvolles Staatswesen inspirieren. In 'Gewalt geht immer' hat Greller
die schwere Gewissensentscheidung zu treffen, ob er seine linken Freunde
verrät, indem er vertrauliche Informationen ihres autonomen
Wohnprojekts an Vertreter der inneren Sicherheit weitergibt, was das
sichere Aus für die alternativen Aussteiger bedeuten würde.
Gerade das Berliner Publikum weiß aus Erfahrung, dass der hochsensible
Sänger und Aktionskünstler Leo Greller zu skurrilen oder zumindest
hochneurotischen Handlungen neigt. Hierfür lieferte er bereits in den
Jahren 2003 in 'Abgesang auf Leo G.' (mit Nina Ernst und Tom Wlaschiha)
und 2006 in 'Groupiedämmerung - Ein Abend im Hickhack' (mit Ades Zabel
und Laurent Daniels) reichlich Anschauungsmaterial. Es steht daher
zu befürchten, dass der Ex-Hamburger die Mitverantwortung für die
gewaltsame staatliche Räumung des autonomen Wohnprojekts 'Sonnenschein'
durch den Missbrauch des Vertrauens gegenüber seinen dortigen Freunden
auf sich laden wird. Vielleicht besinnt sich der einstmalige
Sympathiebolzen 'von der Waterkant' ja doch noch - aber wem wäre damit
eigentlich geholfen ?
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'Wichtigtuer-Airlines'
Im nordöstlichen
Brandenburg besuchte der bekannte Liedermacher und linke Politaktivist
Leo Greller seine neuen Freunde in ihrem autonomen Wohn- und
Lebensprojekt 'Gut Sonnenschein'. Nachdem er wieder abgereist war,
bekamen die Alternativen Besuch von einer Eingreiftruppe des
Innenmysteriums und wurden geräumt. Leo muss sich nun unberechtigter
Kritik stellen.
Aus seinem Tagebuch: "Früher bin ich ja eigentlich nie verreist. Schon
gar nicht ins Ausland. Ich fand Reisen so lächerlich und überflüssig und
habe daraus auch keinen Hehl gemacht – ich hatte eben ganz klar den
Zusammenhang erkannt zwischen der Tatsache, dass die Deutschen
Weltmeister im Reisen sind und gleichzeitig nachweisbar auch eines der
dümmsten Völker auf diesem Planeten. Zu diesem Schluss musste man meiner
Meinung nach kommen, wenn man sich den Zustand des Landes vor Augen
hielt: Überschuldung, Überalterung, Überbetonung des 'Ichs'. Ich hatte
seinerzeit sogar als Aktion der Lufthansa vorgeschlagen, auf ihre
Flugzeuge statt ihres Namens das Statement 'Wir-sind-wichtig' zu
schreiben, damit sich ihre Kunden noch mehr hätten bestätigt sehen
können. Aber das hielten die wohl für keine so gute Idee und die Presse
hatte meinen Vorschlag auch nicht aufgegriffen.
Damals hatte ich noch nicht das Vertrauen in unsere politischen Führer,
das ich heute habe - nach diesem Vorfall in Moabit als ein paar
angebrütete Typen versucht hatten, mich nach einem Auftritt in `nem
angesagten Nachtclub mit Gewalt zum Schweigen zu bringen. Ich hatte wohl
wieder mal mehr als nur einen freiliegenden Nerv getroffen und
letztlich konnten die mir natürlich keinen Maulkorb verpassen. Aber
irritiert hat´s mich schon und als ich im Zuge des danach fälligen
Gerichtsverfahrens zum ersten Mal in meiner Karriere intensiver Kontakt
zu den Experten für innere Sicherheit hatte, ging mir ein Licht auf, wem
wir es in diesem Land eigentlich zu verdanken haben, dass die Menschen
nicht alle gegenseitig aufeinander losgehen und sich tothauen. Ich halte
mit meiner neuen Erkenntnis auch nicht hinterm Berg. Nur dass man mir
anscheinend nicht abnimmt, dass es mir damit tatsächlich ernst ist, aber
das ist genaugenommen nicht mein Problem.
Ungefähr zu dieser Zeit hatte ich gerade einen hartnäckigen Fanclub bei
facebook und als mir da ein paar ulkige Typen vorschlugen, ich solle
einen kleinen Kreativurlaub auf ihrem sanierten autonomen Bauernhof im
Norden von Brandenburg machen, dachte ich mir, das wäre mal etwas
anderes. Insgesamt war´s eine schöne Erfahrung, aber richtig abschalten
konnte ich insofern nicht als ich natürlich nicht ausblenden konnte,
dass diese lustigen und fröhlichen Leute von 'Gut Sonnenschein' mit
ihrem Tun und Nichtstun und sich gegenseitig helfen und keine Steuern
zahlen die Solidarität zu den Menschen aufkündigten, die´s nicht so gut
und leicht und flockig im Leben getroffen hatten, wie sie im schönen und
menschenleeren Norden von Brandenburg – die Ausgegrenzten, die darauf
angewiesen sind, dass der Staat sie finanziell unterstützt. Wenn da
immer mehr aussteigen aus der Solidargemeinschaft, wird’s schnell eng
mit der Unterstützung für die Schwachen und Benachteiligten. Das geht
gar nicht."
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Political Correctness
Aus Leo Grellers Tagebuch:
"Was
ist denn eigentlich politisch korrekt ? Ich würde es wirklich gerne
wissen und mich danach richten. Ich hätte sehr gerne mehr Harmonie in
meinem Leben. Wenn ich meinem guten Freund Ludo zuliebe und auch weil es
ein guter PR-Gag ist die Aktion 'Dudelstopp' unterstütze, muss ich dann
für oder gegen offensiven Musikeinsatz sein ? Vor ein paar Jahren
traten die Macher dieser Aktion noch gegen unfreiwilliges Musikhören im
öffentlichen Raum ein, in Kaufhäusern, Wartezimmern, Telefonschleifen
und so. Und heute arbeiten die mit der Beschallungsindustrie zusammen
und fragen 'Dudelstopp – wollen wir wirklich Friedhofsruhe ?'. Eine
Drehung um 180 Grad oder um 360 ? Muss man, wenn man was Bestimmtes
will, in der Öffentlichkeit und vor den Medien heute das Gegenteil sagen
von dem, was man denkt, um weiterzukommen ?
Wenn ich vor Publikum im Kunsthaus Tacheles erzähle 'die
Meinungsfreiheit in Deutschland ist gewährleistet', dann lachen die
Leute und halten es für subtile Satire. Das ist aber gar nicht so
gemeint. Ich bin doch der lebende Beweis dafür, dass wir kein
Meinungsdiktat und keine Denkverbote in unserem Land haben. Wenn ich
dann vorm Publikum nachsetze mit 'Das meine ich ernst', dann halten die
die Leute für zwei, drei Sekunden kurz inne, um dann aber umso lauter
und überzeugter weiterzulachen. Die gehen davon aus, dass Politiker
heute Satire machen und Satiriker Politik. Das kann einen schon
verwirren. Und so gesehen ist es kein Wunder, dass wir auf Gut
Sonnenschein aneinander vorbeigelebt und vorbeigeredet haben. Vera,
Kevin und die anderen hielten das für einen ganz schrägen Scherz als ich
ihnen sagte, ich unterhielte neuerdings einen engen Kontakt zu den
Spezies für Inneres. Kann ich was dafür, wenn die mich nicht ernstnehmen
?
Es war eben kein Scherz. Und niemanden, der meine Karriere ein bisschen
verfolgt hat, wird das wirklich überraschen. Meine Lieder habe ich
schließlich aus Überzeugung immer vor allem für Frauen geschrieben.
Deshalb hat mich das Feuilleton ja oft genug auch als 'Frauenversteher'
abgetan. Damit konnte ich gut leben – kein Problem ! Ich hab´ trotzdem
jeder und jedem, die es hören wollten, bestätigt, dass ich für´s
Matriarchat bin – was Besseres kann der Menschheit gar nicht passieren:
Keine Kriege mehr, weniger Aggressionen und kuschelige wohlige Wärme in
Mutters Schoß. Auf´s Politische übertragen heißt das, und das kann sich
ebenfalls jeder an den Fingern abzählen, dass ich für einen starken,
fürsorgenden Staat bin – einen weiblichen eben. Und diesem Staat, wie
wir ihn schon fast erreicht haben, dabei zu helfen, seine Feinde
auszukundschaften, damit er sich ihnen verstärkt zuwenden und sie besser
erziehen kann, ist schließlich eine Aufgabe, der ich mich nicht
entziehen konnte und wollte als man mich bat, ihm Informationen über
diese Sozialverweigerer zu liefern."
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Undankbarkeit
Aus Leo Grellers Tagebuch:
"Man
braucht eine gewisse Größe, wenn man Leuten sehr geholfen hat und die
einen dafür hassen. Da ist es besser, wenn man vorher im Leben bereits
einen guten Vorrat an Applaus angesammelt hat. Das habe ich zum Glück in
meiner Eigenschaft als politischer Aktionskünstler, denn die Rede ist
natürlich von mir. Leo Greller ist sowieso weniger eine Person als
vielmehr eine Einstellung. Eine Einstellung, die auf Aufrichtigkeit
basiert, allen Schmähreden, die da garantiert jetzt im Internet bei den
selbsternannten Freidenkern kursieren, zum Trotz. Ich war ehrlich zu den
lieben Leuten vom 'Gut Sonnenschein'. Da muss ich mir nichts vorwerfen
lassen. Ich bin immer ehrlich, das gehört alleine schon zu meinem Beruf.
Auch wenn man und frau von dieser aufgeflogenen Kommune 2.0 jetzt
enttäuscht von mir sind - missbrauchtes Vertrauen, zerplatzte Illusionen
und so - sind sie doch trotzdem gut damit gefahren, dass ich den Job
erledigt habe, der unausweichlich war. Sie hatten ihre Chance, sie
hätten mich ja überzeugen können. Oder mir zumindest was vorspielen, das
hätte ich auch nicht so genau genommen, denn das hätte mir immerhin
bewiesen, dass zumindest ein Bewusstsein dafür vorhanden gewesen wäre,
was die Gemeinschaft, was der Staat von solch einem Projekt erwartet.
Aber Fehlanzeige: Die Frauen haben gekocht, genäht und die Kleinen
unterrichtet, die Männer haben geschraubt, angebaut und sind im Netz
gesurft – also finsterstes Mittelalter, was die Rollenverteilung anging.
Und die Kinder mussten das alles mit ansehen: die Jungs haben gebastelt
und miteinander gerauft, die Mädchen die Tiere gefüttert und mit Puppen
gespielt. Vollkommen ungegendert. Na, gut: und der liebe Leo hat das
alles beobachtet und seiner Chefin davon berichtet. Ist ja wohl besser
als wenn rechte Schläger oder linke Chaoten gleich das Geschäft für´s
Mysterium erledigt hätten, oder ?
Die sind trotz allem gut mit mir gefahren."
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Voltaire und Schopenhauer
Aus Leo Grellers Tagebuch:
"Ich hatte und habe nichts zu verbergen. Ich habe nichts Ungesetzliches
getan. Im Gegenteil. Selbstverständlich interessiert mich, was aus
meinen Freunden von `Gut Sonnenschein´ geworden ist. Ich hatte sie
damals so ganz plötzlich verlassen, denn ich hatte die Eingebung für ein
neues Projekt in der Hauptstadt. Zwei Tage nachdem ich gegangen war die
Eingreiftruppe des Innenmysteriums und haben das Gut geräumt. Es ging
anscheinend nicht anders. Aber an mir lag es nicht, dass es so weit
kommen musste. Was passiert ist, war sicher hart für meine ehemaligen
Freunde, aber unausweichlich. Mandys Baby muss jetzt ohne Vater
aufwachsen. Immerhin besagt eine neue Studie aus dem Familienmysterium,
dass es sowieso besser für Kinder ist, ohne patriarchalen Einfluss
großzuwerden. Ich hatte die ganzen Vorgänge in der Presse verfolgt. Ich
konnte den Leuten von `Gut Sonnenschein´ und insbesondere Vera leider
nicht helfen. Ich hatte den Auftrag, dem Mysterium über Sie zu
berichten. Das heißt aber nicht, dass ich mir diesen Ausgang gewünscht
hätte. Wenn die Verantwortlichen sich entschlossen haben, das Gut zu
räumen, gab es offenbar keine andere Lösung. Vera und die anderen
wollten ja nicht mit ihnen reden. Sie waren auf einem ganz falschen und
potentiell sehr gefährlichen Trip. Ich habe dazu beigetragen, dass sie
davon abgebracht wurden und ich würde es wieder tun. Sie haben Thang
und Julia aus der Schule genommen und selber unterrichtet. Und dann
auch noch Voltaire und Schopenhauer – die Bücher lagen bei ihnen rum !
Das war schon sehr kritisch. Sie haben eine eigene Verfassung kreiert
und gemeinsam an einem eigenen simplen und humanem Rechtssystem
gearbeitet. Wenn das richtig publik geworden wäre und Nachahmer gefunden
hätte, hätte es viel Unglück und Leid in Deutschland verursachen
können. Aber dass sie alle keine Steuern gezahlt haben, weil sie sich
als autonomer und friedlicher Staat sahen, hat ihnen schließlich das
Genick gebrochen. Das lag jedoch sicher nicht daran, dass ich dem
Mysterium die Informationen, die es ohnehin schon über sie gesammelt
hatte, nochmal bestätigen musste. "
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Nach wie vor ein Linker
Aus Leo Grellers Tagebuch:
"Von
der gefährlichen Signalwirkung, die von Menschen wie meinen damaligen
Freunden vom `Gut Sonnenschein´ ausging, die sich aus der staatlich
organisierten Solidargemeinschaft verabschiedeten, brauchte mich niemand
zu überzeugen. Dass ich meine Erkenntnisse als V-Mann an die
entsprechenden Expertinnen weitergeleitet habe, war daher nur
konsequent. Ich habe dafür kein Geld genommen. Ich bin Ende dreißig -
ich verkaufe meine Überzeugungen nicht für einen Scheck mit ein paar
Nullen. Aber meine Freunde wären höchstwahrscheinlich eine Gefahr
geworden, wenn sie weitergemacht hätten. Ich habe also meine
Beobachtungen weitergegeben. Und es ist nicht so, dass ich ihnen dabei
nicht wohlgesonnen war: Wenn ich Anzeichen erkannt hätte, dass es bei
ihnen Strömungen gab, die sie früher oder später mit der staatlichen
Ordnung wieder hätten versöhnen könnten, hätte ich die genauso
weitergegeben und ich hätte mich darüber gefreut, weil ich sie alle und
auch die Grundidee von ihrem Projekt sehr sympathisch fand. Ich bin
schließlich nach wie vor ein Linker: Wir sind eben angekommen - Unsere
Leute sitzen jetzt in den Mysterien und verdienen unsere Unterstützung,
weil sie genau das Richtige tun und das Richtige wollen: Die Menschen
vor sich selbst, vor anderen und vor der Globalisierung beschützen.
Labile Menschen hätten aus der scheinbaren Idylle von `Gut Sonnenschein´
die falschen Schlüsse ziehen und so die Sicherheit in ihrem Leben auf´s
Spiel setzen können. In meinen Liedern habe ich nicht umsonst oft über
bessere weibliche Welten gesungen: 'Beate zeigt´s den Chauvies', 'Mama,
gib mir mehr davon !' ... Das waren bezeichnenderweise die einzigen
Stücke, die bei den Leuten vom Gut nicht so besonders ankamen. Dabei
steht das Matriarchat steht für den totalen Schutz und die totale
Fürsorge. Übertragen auf die Gesellschaft bedeutet das einen starken
Staat, der uns alle bemuttert und vor uns selber schützt. Moderne
Politik ist eindeutig feminin. Deshalb fühle ich mich in Deutschland und
Europa wohl und deshalb weiß ich auch, was ich unseren Oberen schulde.
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Gebrochenes Genick
Aus Vera Warkentins abgehörten Telefonaten:
"Ich wusste nicht, ob Leos Telefonnummer stimmt. Ob er uns damals seine
richtige Nummer gegeben hatte als er weggegangen war. Ich wollte mit ihm
sprechen und ihm erzählen, wie´s uns so geht nach der Stürmung von `Gut
Sonnenschein´. Das interessierte ihn doch hoffentlich ? Er hatte 'Gut
Sonnenschein' damals so ganz plötzlich verlassen. Wegen eines Projekts.
Wegen seiner wunderbaren Projekte hatten wir ihn letztes Jahr nach
'Sonnenschein' eingeladen. Bei der Abstimmung gab es keine Gegenstimme.
Wir waren alle überzeugt von ihm und seiner Aufrichtigkeit. Zwei Tage
nachdem er gegangen war, kamen die Staazis oder wie er sie inzwischen
nennen würde 'die Eingreiftruppe des Innenmysteriums' und haben das Gut
geräumt. Nicht gerade sehr zimperlich - sie haben alles zerstört. Sie
haben uns nichts gelassen. Ich würde sagen, Leo hat seinen Teil dazu
beigetragen. Jessica und Thang wurden verhaftet. Kevin hat sich das
Leben genommen. Mandys Baby wird jetzt also ohne Vater aufwachsen. Ich
bin inzwischen zumindest auf Bewährung wieder auf freiem Fuß. Fest steht
inzwischen: Die Informationen, die dem Mysterium als Vorwand für den
Sturm auf 'Gut Sonnenschein' gedient haben, kamen von Leo. Das wissen
inzwischen alle. Er hatte eindeutig den Auftrag, dem Mysterium über uns
zu berichten. Aber was war denn so gefährlich an uns auf Gut
„Sonnenschein“ ? Dass wir uns von ökonomischen Zwängen befreit hatten ?
Dass wir Lebensmittel selbst angebaut haben, dass wir das, was wir nicht
selber herstellen konnten, über das Internet getauscht haben ? Dass
Thang und Julia ihre Kinder aus der Schule genommen und selber bei uns
unterrichtet haben ? Dass wir eine eigene Verfassung kreiert und
gemeinsam an einem eigenen simplen und humanem Rechtssystem gearbeitet
haben ? Dass wir alle keine Steuern gezahlt haben, weil wir uns als
autonomer und friedlicher Staat sahen ? Wahrscheinlich hat uns DAS das
Genick gebrochen. Schlimmer für mich war aber Leos Überzeugung, dass wir
– Jessica, Thang die anderen und ich – dass wir eine Gefahr für die
Gesellschaft waren, so wie wir gelebt haben. Er und das Mysterium
waren tatsächlich besorgt, ob die paar Bewohner eines kleinen Fleckchens
Erde im Brandenburgischen Niemandsland über´s Internet oder sonstwie
anderen hätte vorführen können, dass freie Menschen auch ohne die
Segnungen der Verwaltungen in der Hauptstadt überleben und sogar ganz
gut auskommen können. Auch wenn diese Vorstellung nicht zu dem
Outsider-Image passte, das Leo jahrelang als Sänger und Künstler
kultiviert hatte.
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Ersatzmutter 'Staat'
Aus Vera Warkentins Tagebuch:
"Ausgerechnet
Leo Greller, der Liedermacher, der in linken Anarchokreisen einen
tadellosen Ruf als Spießerschreck und Moralapostel genoss. Ich weiß
nicht mehr, wer vom Gut eigentlich auf die Idee kam, ihn für ein paar
Wochen zu uns einzuladen. Wahrscheinlich kam der Kontakt über irgendein
Internet-Forum für Künstler und Freigeister
zustande. Jessica hatte schon recht gehabt, als sie bei unserem Einzug
ins Gut vorschlug, dieses weltweite Fangnetz außen vor zu lassen. Aber
damit kam sie bei den Männern natürlich nicht durch, bei Daniel, Thang
und den anderen: 'Fairer Tauschhandel funktioniert nur über´s Netz'. Von
wegen ! Die waren sicher nur spitz auf ihre scharfen Seiten. Als ob wir
nicht genug moderne und aufgeschlossene Frauen auf dem Gut gewesen
wären – real und in echt, analog eben ! Wir hatten schließlich auch noch
was anderes im Kopf als Heim und Herd. Und für die Kommunikation mit
der Außenwelt hätte sich sicher ebenfalls noch `ne alternative Lösung
finden lassen, ohne dass wir auf Brieftauben hätten zurückgreifen
müssen. Wir Frauen hätten Jessica damals mehr unterstützen sollen gegen
diese offene Leitung nach 'Sonnenschein' – nun ist es zu spät und Herr
Greller darf sich von den Siegern feiern lassen, dieser Opportunist.
Haben die bei ihm 'ne Gehirnwäsche gemacht, hat er zu viele Pilze
gegessen oder wie ist es bloß möglich, dass jemand so eiskalt die Seiten
wechselt und zum Verräter wird ?
Kurz bevor er festgenommen werden konnte, hat Kevin Selbstmord begangen.
Er war der idealistischte von uns allen. Und der Vater von Mandys
Tochter, die jetzt bald geboren wird. Neben ihrer Trauer ist Marndy
sicher auch wütend auf ihn, dass er sie mit Mia alleine gelassen hat.
Aber dass die Staatsbüttel sich so entblößen und mit nackter Gewalt ein
so einzigartiges Projekt wie unseres sprengen würden, hat Kevin auf
einen Schlag sämtliche Zuversicht für die Zukunft geraubt. Er hatte wohl
immer noch die Hoffnung gehabt, dass wenn die Oberen erst einmal
bemerkt hätten, wie wunderbar es auf unserem Gut läuft, wir über Kurz
oder Lang auch ihren Segen bekommen hätten – aber das hätte natürlich
Vertrauen in die Untertanen vorausgesetzt ! Kevin hatte sich in der
kurzen Zeit auf 'Gut Sonnenschein' einfach noch nicht von der
Ersatzmutter 'Staat' lösen können. Da ist er aus dem Fenster im zweiten
Stock gesprungen als der Sturm begann – mit dem Kopf voran. Er hat wohl
vorausgesehen, was freiheitsliebenden Menschen in diesem Land bald noch
blühen wird.
Und dabei hat er damals noch nicht einmal gewusst, dass unser Gast Leo
der Verräter war. Ein V-Mann, der sich nicht damit begnügt hat, einfach
Beobachtungen weiterzugeben, sondern der wahrscheinlich noch Sachen
dazugedichtet und selber Ankläger gespielt hat. Dem würde ich inzwischen
alles zutrauen, dem schrägen Abstinenzler !
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Glückliche Sklaven als Freiheitsfeinde
Aus Vera Warkentins Tagebuch:
"Mein
Leben hat sich schon mal besser angefühlt. Ich habe Freunde verloren,
einen sogar für immer. Ich saß im Gefängnis und muss dem
Bewährungshelfer jetzt auch noch vorspielen, dass ich künftig wieder
eine gute Untertanin sein werde. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich
weiß auch nicht, ob ich das will.
Wenn es nur irgendjemand anderes gewesen wäre, den sie zu uns geschickt
hätten, der sich unser Vertrauen erschlichen und uns dann verraten
hätte. Ich glaube, das würde es mir wenigstens ein bisschen leichter
machen. Ausgerechnet Leo Greller ! Das demoralisiert einen doch auf
Jahre hinaus ! Dieser Prototyp eines unverstandenen und verkannten
Poeten-Revoluzzers. Er war immer so nett, so echt, so harmlos. Es war
für alle, die seinen Weg verfolgt hatten über die Jahre, die sich für
seine Karriere interessiert hatten oder sich einfach in gemütlicher
Runde damit schmücken wollten, ein paar schräge Titel oder Zitate von
ihm zu kennen, klar, dass er nie den ganz großen Erfolg haben würde.
Damit war nicht zu rechnen, da musste man nicht Medienwissenschaft für
studiert haben, um das nahezu ausschließen zu können. Aber das machte ja
gerade seinen Charme aus. Alle haben gedacht, für den großen Durchbruch
sei er nicht korrumpierbar genug oder einfach auch nur zu wenig
durchtrieben, zu ungeschickt.
Außerdem war ich immer davon ausgegangen, vorauseilender Gehorsam in
punkto politischer Korrektheit und gesellschaftlicher Harmonie würde
sich für alle schnell erkennbar durch ein leeres Hirn und Rumgeschwafel
entlarven. Aber so verhielt es sich bei Leo nicht. Bei allem Schmerz,
den er mitzuverantworten hat, könnte ich ihm das nicht nachsagen. Aber
vielleicht das: „Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde
der Freiheit.“ Ich weiß nicht mehr, von wem genau das Zitat stammt: Von
Esther Vilar ? Oder war´s doch Marie von Ebner-Eschenbach ? Ob Leo ein
glücklicher Mensch ist ? Schläft mit mir drei Monate in einem Zimmer und
nichts passiert ? Der totale Gentleman oder die totale Lusche ? Die
Sorte Mann, von der Frauen träumen ? Wohl kaum. Eher die Sorte Mann, die
den Gleichstellungsbeauftragten vorschwebt - vielen Dank."
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