der HÖRSPIELer: Interview mit Heikedine Körting




INTERVIEW

Heikedine Körting [in ihrem Studio]

(HöRSPIELer:) Der zunehmende Erfolg der EUROPA-Schallplatten fiel zeitlich mit der internationalen sowie der westdeutschen Studentenbewegung zusammen. Auch Sie wurden während Ihres Jura-Studiums in Hamburg mit dem entsprechenden Gedankengut konfrontiert. Haben die linken Ideale der 68er-Generation Sie beeinflusst - beispielsweise in Bezug auf Karriere, Familie und Männer ?

(Heikedine Körting:) Ich habe damals einige Vorteile der Emanzipation registriert ohne jedoch persönlich darauf angewiesen gewesen zu sein, denn ich kann sehr gut mit Männern arbeiten. Auch hatte ich als Frau nie das Gefühl des Ausgeschlossenseins nach dem Motto "Du nicht !". Von meinem Vater bekam ich häufig zu hören "Kann ich nicht gibt es nicht !" - das galt für Mädchen und Jungen gleichermaßen, denn ich bin ja mit Brüdern aufgewachsen, also in einer männlich dominierten Welt. Von Kind an war ich eher ein aktiver Mensch, weniger ein verspielter oder verträumter. Für Schminken oder Mode habe ich mich nie besonders interessiert, denn ich habe lieber selber schaffen und machen wollen.
Meine Tante und meine Großmutter waren äußerst selbständig und auch beruflich erfolgreich. Meine Mutter allerdings hatte sich ganz auf die Familie konzentriert, wovon wir alle sehr profitierten und was ich selbst heute noch vermisse.

Heute wachsen viele Ihrer jungen Hörer mit nur einem Elternteil auf.

Heikedine Körting, 2007

Dieses Nichtaufgehobensein ist sicher schlimm für Kinder. Viele Mütter bilden sich ja ein, dass sie ohne Vater erziehen können - ich bin allerdings der Auffassung, dass ein Vater für jedes Kind dringend dazu gehört. Andererseits: Was sollen die Frauen machen, wenn sie heute zu keinem Partner mehr Vertrauen fassen können, um mit ihm viele Jahre oder möglichst sogar ein ganzes Leben zu verbringen ? Vielleicht sollte man die Unterschiede zwischen Männern und Frauen wieder etwas mehr betonen, damit die gegenseitige Anziehung größer wird und die Partner motivierter sind, Konflikte gemeinsam durchzustehen und den Kindern damit ein Vorbild abzugeben. Denn woher sollen Mädchen und Jungen das Bewältigen von Krisen lernen, wenn nicht von beiden Elternteilen ? Das ist möglicherweise leichter gesagt als getan: Die Zeiten sind nun einmal schnellebig, egoistisch, kommerziell - nach dem Motto `carpe diem´ ... daher gibt es leider auch so viele `Problemkinder´. Ich bin jedenfalls sehr dankbar, dass ich noch in einer richtigen und behüteten Familie aufwachsen durfte.

Neueren Familienmodellen sowie der Aufhebung traditionaler Frauen- und Männerrollen stehen Sie demnach skeptisch gegenüber ?

Man sollte Frauen, die es wollen, die Karrieremöglichkeiten nicht verwehren. Aber durch die Fixiertheit auf Beruf und Karriere bringen sie sich auch um sehr viele schöne Dinge für eine Frau: Bevor sie alles selber in die Hand nahmen, brachten ihnen Jungen und Männer häufig mehr Achtung entgegen, was heutzutage ziemlich untergeht. Als ich anfing zu studieren, hatte ich ebenfalls noch Träume von einer eigenen großen Familie. Das war aber leider diese unselige Zeit, in der die Frauen erstmals in der Geschichte -nach Erfindung der Pille- selber über die Familienplanung entscheiden konnten und zunehmend auch mussten - selbst wenn viele wie ich noch weitgehend unerfahren waren. Außerdem galt `frau´ unter Gleichaltrigen als dumm, wenn sie bei einer ungeplanten Schwangerschaft nicht nach Holland fuhr und das `Problem´ beseitigte. Diese Entscheidungen zu Zeiten der `freien Liebe´ hatten ungerechterweise ganz überwiegend die Mädchen und Frauen selbst zu treffen. Für mich war damals klar: Familie oder Karriere, denn ich war und bin der Ansicht, dass Frauen beidem gleichzeitig nicht gerecht werden können. Mein Lebensweg hat mich dann glücklicherweise mit einem Mann zusammengeführt, mit dem zusammen ich schaffen und machen konnte, wie ich es wollte. Und unser Haus ist heute dank einiger Patenkinder, Nichten und Neffen glücklicherweise dennoch selten kinderleer.

Und was denken Sie über die jungen Männer von heute ?

Die sind meiner Ansicht nach total verunsichert, wissen nicht mehr, was eigentlich angesagt ist , was von ihnen verlangt wird und tun sich deshalb verständlicherweise schwer damit, die eigene Rolle zu finden. Mir tun die jungen Männer leid - ich denke, deren Belastung ist viel größer als früher. Was das anbelangt, wäre es sicher einfacher, wenn junge Frauen heute wieder etwas femininer wären. Aber das müssen sie natürlich selber entscheiden. Ganz generell denke ich - und betone das auch, wo ich kann - dass beileibe nicht nur ein kleiner Unterschied zwischen Männern und Frauen besteht.
Traditionelle vs. moderne Geschlechterrollenbilder im Jugendhörspiel, hier bei Enyd Blyton - Fünf Freunde: Georgina und JulianDie Krise der Familie hat meines Erachtens allerdings wenig mit nachlassender Anziehungskraft zwischen Männern und Frauen zu tun. Die besteht seit Adam und Eva und wird durch soziokulturelle Veränderungen prinzipiell nicht beeinflusst. Emanzipation hat tatsächlich stattgefunden, das ist sehr begrüßenswert. Gleichzeitig hat sie viel Verunsicherung und Erschütterung der Familienstrukturen verursacht. Aber dafür ist nicht die Emanzipationsbewegung verantwortlich sondern generell die Widersprüche der modernen Welt.
Einen eigenen medialen Ansatz zu diesem Thema habe ich übrigens in unserer Jugendserie `Tom & Locke´ von Stefan Wolf verfolgt, bei dem wir den Hörern ein gemischtes Detektivduo geboten haben: Der Eine eine richtige `Jungspartie´ und die Andere eine richtige `Mädchenpartie´, die trotz aller geschlechterspezifischen Eigenheiten gut miteinander harmonierten. Das hat mir damals (1982) besonders viel Freude bereitet. Wenn ich die Wahl hatte, soziale, ethische oder auch religiöse Ausführungen unserer Hörspielautoren entweder im Hörspiel zu belassen oder herauszuschneiden, dann habe ich mich immer nach Kräften bemüht, diese Parts nicht herauszukürzen.

Wertevermittlung z.B. über altbewährte Märchen sind ja ein `Steckenpferd´ von Ihnen. Funktioniert das auch noch im Jahr 2007 ?

Meines Erachtens, ja. Denn der Zauber von Märchen hat nichts mit kulturellen Veränderungen zu tun. Er beruht auf `einfachen´, `ewigen´ menschlichen Bedürfnissen wie Träumen und Erkenntnis. Darum finde ich es auch sinnlos, Märchen zu `modernisieren´, wie es vor vielen Jahren Praxis war, als EUROPA mit seinen konventionellen Märchen-Produktionen erfolgreich auf den Markt kam. Zu diesen Zeiten, als ich bei der Firma meines Mannes anfing, waren Geschichten wie `Hänsel und Gretel´ verpönt. Diese wurden von der Konkurrenz allenfalls in ein modernes Kaufhaus geschickt. Dabei unterschätzte man allerdings die Fähigkeit der Kinder, die alten Geschichten sehr wohl in das heutige Leben zu übertragen. Was wurden wir seinerzeit angegriffen ! Märchen waren ja das Hinterletzte ...
Heikedine Körting, 2007 Ich habe mich immer gegen diese `Entzauberung´ der Geschichten gewehrt. Was wäre denn am `Froschkönig´ noch dran, wenn man den König und seine Tochter als irgendeinen reichen Boss und seine verwöhnte Tochter á la Paris Hilton darstellen würde ? Nein, Märchen spiegeln nicht die Gesellschaft, sie zeigen nur, womit Gesellschaften zu tun haben: mit Menschen und ihren vielen Unterschieden. Daher mache ich mir auch keine Sorgen um den Verlust des Zaubers oder der Faszination traditioneller Geschichten - sie werden immer ihre positive Wirkung haben. Das können wir herrlich an kleinen Kindern bemerken, wenn wir ihnen vorlesen oder ihnen entsprechende Hörspiele bieten.

Der 68er-Generation ist es zu verdanken, dass Zugangsbarrieren zum Unterhaltungsmarkt über die letzten Jahrzehnte durchlässiger wurden. Was zunächst die Chancengleichheit für Benachteiligte verbesserte, hat sich seit den 90ern umgekehrt und zu einer Vulgarisierung der Populärkultur geführt. Wie denken Sie über neue Medien, wie über das Internet und den Rückgang der Professionalität im kommerziellen Hörspielwesen ?

Mit der technischen Entwicklung der Medien ist das kulturelle Leben natürlich heftig in Bewegung geraten und viele Amateure stürmten die Bühnen. Das war aber nicht wesentlich anders in den Jahrzehnten zuvor. Schon immer wurde das kulturelle Leben durch `unprofessionelle´ Quereinsteiger dennoch belebt. Ich bin letztlich ja selber auch einer und auch immer `unprofessionell´geblieben: Grundsätzlich müsste man wohl Schauspiel, Regie, Tontechnik usw. studieren, um meinen Beruf `ordentlich´ zu betreiben. Habe ich alles nicht - mein Mann ist immerhin noch ausgebildeter Tontechniker. Dennoch habe ich die mir von ihm seinerzeit bei EUROPA gebotene Chance bekommen und auch nutzen können, denn bei den Unterhaltungsmedien ist `Unordentlichkeit´ oft von großem Vorteil, schon wegen der Improvisation oder beispielsweise dem Zulassen des Bauchgefühls. Eine gewisse `Vulgarisierung´ der Popkultur - wie Sie es nennen - gibt es wohl tatsächlich. Aber meiner Ansicht nach hat `Pop´ immer etwas Vulgäres, sonst wäre es kein Pop und hätte nicht diese starke Wirkung. Grundsätzlich bin ich ganz froh, dass es nicht mehr die ungleiche Wertung von klassischer Musik und Unterhaltungsmusik gibt oder die strikte Trennung von Kunst und Kitsch. Wer will schon beurteilen, was gut oder schlecht ist ?

Sie beispielsweise müssen das doch tun als Hörspielproduzentin: Wenn Sie in Ihrem Studio mit jungen Menschen konfrontiert werden, denen der Zeitgeist sagt `Du musst einen kreativen Beruf ergreifen´, denen aber leider die hörbare Begabung für das Metier `Schauspiel´ fehlt, dann müssen Sie sich doch auch irgendwie dazu verhalten. Wird nicht teilweise von der Unterhaltungsindustrie (z.B. bei `Deutschland sucht den Superstar´) ein unschönes Spiel mit unsicheren jungen Leuten getrieben, denen niemand ehrlich sagt `Ergreife doch lieber einen Beruf, der Dir mehr liegt´ ?

Natürlich werden in der heutigen Medienwelt viele Menschen, ob nun ohne aber durchaus auch mit Talent `verheizt´. Junge Leute haben es heute leichter, in die Medien zu kommen - es gibt mehr Zugänge als früher. Aber das Reinkommen ist einfacher, als den Beruf dann letztlich auszufüllen und sich dauerhaft zu halten. Ich denke, junge Menschen haben bei dem großen Angebot heute nicht mehr genug Zeit, sich auszuprobieren, alles zu wollen und in vieles hineinzuschnuppern. In vielen Schulen werden musische Fächer nicht mehr ausreichend gelehrt. Es mangelt daher an Sicherheit und Harmonie. Die Prophezeihung von Andy Warhol, dass jeder für 15 Minuten ein Star sein kann, ist ja eher ein Witz, der sich vielleicht im Traum erfüllt.
Daher würde ich jedem empfehlen und tue das auch immer wieder bei jungen Schauspielern, wenigstens ein `Basiskönnen´, das einem niemand nehmen kann, wirklich zu beherrschen. Auch wenn man später einen anderen Beruf ergreift, ist dies doch enorm wichtig für das eigene Selbstbewusstsein. Bei mir war dies Jura mit dem zweiten Staatsexamen und später auch eine eigene Anwaltskanzlei. Vorher wurde ich vielleicht von dem einen oder anderen Hörspielkollegen belächelt als Freundin von Herrn Dr. Beurmann. Das hörte dann auf als ich in meinem Briefkopf `Rechtsanwältin´ stehen hatte.

Von den Pädagogen wurden Sie wie andere Hörspielmacher in den 60er und 70er Jahren aber dennoch ignoriert. Freundlich ausgedrückt.

Für viele von denen war es bereits eine Provokation, dass ich stets versucht habe, ehrlich mit den Kindern umzugehen und positive, konstruktive Stoffe bevorzugte. Schallplatten waren in den 70er Jahren bereits ein enorm verbreitetes Medium in Westdeutschland, welches man von pädagogischer Seite eigentlich nicht ignorieren konnte. Aber KEIN Lehrer wollte sich in der öffentlichkeit damit auseinandersetzen. Sie ließen die Kinder die Platten hören, weil sie es nicht verhindern konnten und waren dennoch der Meinung, die Kleinen verlernten dadurch das Lesen. Dabei verkannten sie völlig, dass die Kinder damals schon gar nicht mehr richtig lesen konnten - nicht zuletzt dank der seinerzeit modernen `Ganzwort-Methode´. Ich hatte damals Kinder bis zu 14 Jahren zum Vorsprechen im Studio, die nicht einen einzigen Satz ordentlich vortragen konnten. Ich habe häufig versucht, mich mit Lehrern zusammenzusetzen, um zu sehen, wie man am besten mit der Medienflut, von der wir ja ebenfalls ein Teil -wenn auch kein schlimmer- waren, umgehen könnte. Aber ich vermochte niemanden dafür zu gewinnen. Die Lehrer haben sich die Stücke nie ganz angehört, sondern waren stets entsetzt wegen der vielen Geräusche, die in unserern Produktionen zu hören waren und an denen die Kinder Spaß hatten.
Das ist heute glücklicherweise ganz anders: ca. 2800 Schulen haben sich gerade an unserem TKKG-Hörspielwettbewerb beteiligt, bei dem ein von unserem Autor vorgegebener Anfang von den Schülern fortgesetzt wird. Unterstützt selbstverständlich von den Lehrern. Dennoch bleibt in meinen Augen das Problem, dass die Kinder der unteren und mittleren Schichten im Kindergarten zu wenig Anregungen bekommen. Und leider auch in den Familien, in denen häufig die Großeltern fehlen - und sei es `nur´ zum Märchenerzählen.

Frau Körting, vielen Dank für das Gespräch.


Fotos und Illustrationen mit freundlicher Genehmigung durch Heikedine Körting.

Heikedine Körting, 2007



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